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SAP S/4HANA-Migration: Brownfield vs Greenfield

Brownfield vs Greenfield vs Bluefield (Colorfield) – was verbirgt sich hinter diesen Begriffen? Erfahren Sie, welche Migrationsmethode für Ihr Unternehmen die richtige ist und wie Sie Ihr SAP-System zukunftssicher aufstellen.
19. Juni 2024
5 min
Thorsten Schurig, Digital Learning & Transformation Professional, tts - knowledge matters. Thorsten Schurig

Für viele Unternehmen, die ihre Geschäftsprozesse optimieren und wettbewerbsfähig bleiben wollen, ist die Migration auf SAP S/4HANA ein entscheidender Schritt. Doch welcher Weg führt am besten zum Ziel - eine schrittweise Umstellung im Brownfield Approach, ein kompletter Neustart à la Greenfield oder die selektive Modernisierung nach Bluefield-Art? Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Vor- und Nachteile der Methoden und hilft bei der Entscheidungsfindung.

Brownfield-Ansatz: Bewährtes erhalten und optimieren

Brownfield für SAP S/4HANA

Für Unternehmen, die ihre bewährten SAP-Prozesse und -Funktionen in die S/4HANA-Welt mitnehmen möchten, ist Brownfield oft der richtige Weg. Mit einer schrittweisen Modernisierung lassen sich die Vorteile der neuen Plattform nutzen, ohne das Tagesgeschäft zu sehr zu belasten. Allerdings sollten sich IT-Entscheider bewusst sein, dass dieser Ansatz auch Grenzen hat und nicht alle Optimierungspotenziale ausschöpft.

Brownfield-Ansatz Definition

Brownfield bezeichnet die Migration eines bestehenden SAP ERP-Systems auf S/4HANA unter weitgehender Beibehaltung der vorhandenen Strukturen, Prozesse und Daten. Die bewährten Elemente des Altsystems werden in die neue Umgebung übertragen und dabei punktuell optimiert.

Bei der Brownfield werden zunächst die technischen Voraussetzungen für S/4HANA geschaffen, wie z. B. die Aktualisierung von Hardware, Betriebssystem und Datenbank. Anschließend erfolgt die eigentliche Systemkonvertierung, bei der Customizing, Erweiterungen und Daten in das neue S/4HANA-System übernommen werden. Dabei kommen spezielle Migrations- und Konvertierungstools zum Einsatz, die den Prozess weitgehend automatisieren.

Nach der technischen Migration werden die Geschäftsprozesse und Funktionen im neuen System validiert und ggf. angepasst. Dabei liegt der Fokus auf einer behutsamen Optimierung, ohne die grundlegende Struktur zu verändern. Schritt für Schritt können dann weitere Verbesserungen und Innovationen eingeführt werden, die S/4HANA bietet.

Vorteile von Brownfield

Der Brownfield-Ansatz verspricht eine schnellere und weniger aufwändige Migration, da vorhandene Elemente übernommen werden. Der Change-Aufwand ist geringer, weil Anwender mit den Prozessen und Abläufen vertraut sind. Bewährte Anpassungen und Erweiterungen, die für das Business wichtig sind, bleiben erhalten. Zudem ist eine schrittweise Einführung von Innovationen möglich, ohne das Tagesgeschäft zu beeinträchtigen.

Herausforderungen einer Browfield-Migration

Es besteht das Risiko, Altlasten und ineffiziente Strukturen aus dem Altsystem zu übernehmen. Die Möglichkeiten zur Prozessoptimierung und Neugestaltung sind begrenzt. Bei Systemaktualisierungen und -erweiterungen kann ein höherer Anpassungsaufwand entstehen. Auch wird das volle Potenzial von S/4HANA möglicherweise nicht ausgeschöpft.

Entscheidungskriterien für Brownfield

Der Brownfield-Migration ist die beste Wahl, wenn: 

  • das bestehende SAP-System noch nicht allzu veraltet ist. 
  • viele wichtige Anpassungen und Erweiterungen beibehalten werden sollen. 
  • die aktuellen Geschäftsprozesse weitgehend beibehalten werden sollen. 
  • eine schnelle Migration mit geringem Risiko gewünscht ist. 
  • der Business-Betrieb möglichst wenig beeinträchtigt werden soll.

Greenfield-Ansatz: Neustart mit schlanken Prozessen

Greenfield für SAP S/4HANA

Für Unternehmen, die bereit sind, ihre SAP-Welt komplett neu aufzusetzen, bietet der Greenfield-Ansatz große Chancen. Mit einem radikalen Neuanfang lassen sich zukunftsfähige Prozesse und Strukturen etablieren, die das volle Potenzial von S/4HANA ausschöpfen. Dieser Weg brigt jedoch auch Risiken und ist nicht von heute auf morgen zu bewältigen.

Greenfield-Ansatz Definition

Der Greenfield-Ansatz steht für eine komplette Neuimplementierung von SAP S/4HANA, ohne Rücksicht auf historisch gewachsene Strukturen und Prozesse. Das Ziel: ein schlankes, modernes System aufzubauen, das optimal auf die aktuellen und zukünftigen Anforderungen des Unternehmens ausgerichtet ist.

Bei der Greenfield-Migration werden zunächst die fachlichen und technischen Anforderungen an das neue System definiert. Auf dieser Basis erfolgt dann die Neugestaltung von Geschäftsprozessen, Datenmodellen und Systemarchitektur. Dabei orientiert man sich an den Best Practices und Standardfunktionen von S/4HANA, um eine möglichst schlanke und effiziente Lösung zu erreichen.

Im nächsten Schritt werden die neu gestalteten Prozesse und Strukturen in S/4HANA implementiert. Daten aus Altsystemen werden nur selektiv und nach Bereinigung übernommen. Schnittstellen zu anderen Systemen werden neu entwickelt. Anpassungen und Erweiterungen erfolgen nur, wenn sie geschäftskritisch sind. Nach intensiven Tests und Schulungen der Anwender erfolgt schließlich die Inbetriebnahme des neuen Systems.

Vorteile von Greenfield

Eine Greenfield-Strategie bietet die Chance, alte Zöpfe abzuschneiden und sich ganz auf die Zukunft auszurichten. Unternehmen können ihre Prozesse und Strukturen von Grund auf neu gestalten und an die Möglichkeiten von S/4HANA anpassen. Das Ergebnis ist ein schlankes, effizientes System ohne Altlasten und Kompromisse. Zudem lassen sich Innovationen und neue Technologien von Anfang an integrieren.

Herausforderungen des Greenfield-Ansatzes

Allerdings erfordert der Greenfield-Ansatz auch einen höheren Aufwand und ein stärkeres Commitment. Die Neugestaltung von Prozessen und Systemen ist zeitintensiv und bindet viele Ressourcen. Bewährte Anpassungen und Sonderfunktionen müssen oft aufgegeben werden. Für die Anwender bedeutet die Umstellung eine große Veränderung, die entsprechend gemanagt werden muss. Auch die Datenmigration und die Anbindung an Umsysteme sind aufwändig.

Entscheidungskriterien für Greenfield

Die Greenfield-Ansatz empfiehlt sich besonders, wenn: 

  • Die bestehenden Systeme und Prozesse stark veraltet und ineffizient sind.
  • eine grundlegende Neuausrichtung und Standardisierung angestrebt wird.
  • Altlasten und Sonderlösungen abgebaut werden sollen.
  • neue Technologien und Innovationen von Anfang an genutzt werden sollen.
  • ausreichend Zeit, Budget und Ressourcen für die Neuimplementierung vorhanden sind.

Bluefield-Ansatz: Das Beste aus beiden Welten?

Bluefield für SAP S/4HANA

Mit dem Bluefield können Unternehmen das Beste aus Brownfield und Greenfield kombinieren und die S/4HANA-Migration nach ihren spezifischen Anforderungen gestalten. Allerdings setzt diese Methode eine sorgfältige Planung, eine enge Abstimmung zwischen den beteiligten Teams und ein professionelles Projektmanagement voraus. Nur so kann die Komplexität beherrscht und die gesteckten Ziele erreicht werden.

Bluefield-Ansatz Definition

Bluefield, auch Colorfield genannt, kombiniert Elemente des Brownfield- und Greenfield-Ansatzes. Die Vorteile beider Methoden werden dabei kombiniert. Es geht um eine schrittweise, selektive Migration, die sowohl bewährte Strukturen erhält als auch gezielte Optimierungen und Innovationen zulässt.

Bei der Bluefield-Migration werden zunächst die Prozesse und Funktionen identifiziert, die in das neue S/4HANA-System übernommen werden sollen. Dabei kann es sich um ganze Module oder einzelne Bereiche handeln, die für das Business besonders wichtig sind. Diese werden dann nach dem Brownfield-Prinzip migriert, d. h. unter Beibehaltung von Customizing, Erweiterungen und Daten.

Für andere Bereiche, die stärker optimiert oder neu gestaltet werden sollen, kommt der Greenfield-Ansatz zum Einsatz. Hier werden Prozesse, Datenmodelle und Funktionen von Grund auf neu entwickelt und an die Möglichkeiten von S/4HANA angepasst. Die Entscheidung, welche Teile migriert und welche neu aufgesetzt werden, erfolgt nach strategischen und fachlichen Kriterien.

Die migrierten und neu entwickelten Bereiche werden dann schrittweise in das S/4HANA-System integriert und miteinander verbunden. Dabei ist eine sorgfältige Planung und Abstimmung erforderlich, um Schnittstellen und Abhängigkeiten zu managen. Nach und nach entsteht so ein hybrides System, das die Stärken des Altsystems mit den Innovationen von S/4HANA verbindet.

Vorteile von Bluefield

Der Bluefield-Ansatz bietet den Vorteil, dass Unternehmen ihre S/4HANA-Migration flexibel und bedarfsgerecht gestalten können. Bewährte Prozesse und Funktionen bleiben erhalten, während andere Bereiche gezielt modernisiert werden. Die schrittweise Umsetzung reduziert das Risiko und ermöglicht eine bessere Steuerung von Kosten und Ressourcen. Zudem können Innovationen und neue Technologien nach und nach eingeführt werden.

Herausforderungen einer Bluefield-Migration

Allerdings erfordert die Bluefield-Migration auch eine komplexere Planung und Koordination. Es gilt, die migrierten und neu entwickelten Teile sorgfältig aufeinander abzustimmen und zu integrieren. Die Abhängigkeiten zwischen Alt und Neu müssen berücksichtigt und gemanagt werden. Auch der Betrieb und die Weiterentwicklung eines hybriden Systems können aufwändiger sein als bei einer reinen Brownfield- oder Greenfield-Lösung.

Entscheidungskriterien für Bluefield

Der Bluefield-Ansatz empfiehlt sich besonders für Unternehmen, die:

  • die Vorteile ihrer bewährten SAP-Prozesse und -Funktionen erhalten wollen.
  • gleichzeitig gezielte Optimierungen und Innovationen in einzelnen Bereichen anstreben.
  • ihre S/4HANA-Migration schrittweise und mit geringerem Risiko umsetzen möchten.
  • Kosten und Ressourcen besser steuern und auf strategische Prioritäten ausrichten wollen.
  • die Komplexität einer vollständigen Neuimplementierung scheuen.

Brownfield vs Greenfield: Migration durch Anwenderschulungen begleiten

Beim Brownfield-Ansatz fällt der Schulungsaufwand meist geringer aus, da die Anwender mit den grundlegenden Prozessen und Abläufen bereits vertraut sind. Hier liegt der Fokus auf der Einführung in die neuen Funktionen und Möglichkeiten von S/4HANA. 

Ganz anders sieht es beim Greenfield-Ansatz aus: Da hier Prozesse und Systeme komplett neu gestaltet werden, müssen die Mitarbeitenden umfassend geschult werden. Sie müssen sich nicht nur mit der neuen Oberfläche und Bedienung vertraut machen, sondern auch die neuen Abläufe und Zusammenhänge verinnerlichen. Das erfordert intensive Trainings und eine engmaschige Betreuung in der Einführungsphase. Der Aufwand beim Bluefield-Ansatz liegt irgendwo dazwischen, abhängig von der genauen Strategie.

Unternehmen sollten den Schulungsaufwand bei der Planung ihrer S/4HANA-Migration realistisch einschätzen und ausreichend Zeit und Ressourcen dafür einplanen. Reine Key-User-Schulungen sind nicht ausreichend. Nur wenn alle Anwender das neue System und die neuen Prozesse verstehen und akzeptieren, kann die Umstellung ein Erfolg werden.


Schon gewusst?

Die Begriffe stammen ursprünglich aus der Stadtplanung. Brownfield bezeichnet die Wiedernutzung von Industriebrachen oder Brachflächen; Greenfield die Bebauung oder Erschließung von unberührtem Land "auf der grünen Wiese". Wer genau diese Begriffe in die SAP-Welt eingeführt hat, lässt sich nicht eindeutig sagen. Bluefield oder Colorfield sind Wortneuschöpfungen, die im SAP-Kontext geprägt wurden.


Brownfield vs Greenfield: Fazit

Die Wahl der richtigen Migrationsmethode ist entscheidend für den Erfolg eines SAP S/4HANA-Projekts. Brownfield, Greenfield und Bluefield bieten unterschiedliche Ansätze, die je nach Ausgangslage und Zielsetzung ihre Stärken ausspielen. Unternehmen müssen auf Basis ihrer individuellen Situation und Ziele entscheiden, welcher Weg am besten geeignet ist. Eine sorgfältige Analyse, klare Zieldefinition und ehrliche Bewertung der Ressourcen sind dabei unerlässlich. 

Unabhängig von der Methode gilt: Eine S/4HANA-Migration ist eine komplexe, strategische Initiative. Sie erfordert professionelles Projektmanagement, offene Kommunikation und systematisches Changemanagement. Mit der richtigen Herangehensweise lassen sich die Weichen für eine zukunftsfähige ERP-Landschaft stellen.

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