Unternehmen müssen schneller lernen können

Häufige Prozessanpassungen und der Einsatz von Cloud-Anwendungen erfordern Weiterbildungsangebote, die schnelles Lernen bei minimalem Aufwand ermöglichen. Im Interview erklärt Stephan Hilbrandt von tts, wie und womit sich dieses Ziel erreichen lässt.
29. September 2022
8 min

Täuscht der Eindruck, oder stimmt es, dass die Change-Zyklen immer kürzer werden und Unternehmen zunehmend an ihre Grenzen kommen? 

Das Tempo hat definitiv zugenommen. So gut wie alle Unternehmen haben enorme Anstrengungen unternommen, um auf die Herausforderungen der letzten Jahre angemessen reagieren zu können. Jetzt erleben sie, dass eine große Maßnahme viele kleinere nach sich zieht. Und das führt dazu, dass der Stresslevel in den Unternehmen weiter ansteigt.  

Was für Maßnahmen meinen Sie? 

Zum Beispiel agile Methoden, die zahlreiche Organisationen eingeführt haben, um flexibler zu werden. In der Praxis führt das kontinuierliche Überprüfen und Verbessern allerdings auch zu einer endlosen Reihe winziger Anpassungen. Das ist zwar beabsichtigt, sorgt aber für permanente Unruhe. Außerdem setzen immer mehr Unternehmen Cloud-Lösungen wie Salesforce, Workday oder Office 365 ein. Die bieten einerseits großen Komfort, setzen andererseits aber auch ein hohes Maß an Anpassungsbereitschaft voraus – und das mit jedem Update immer wieder. 

Wie können die Unternehmen die Problematik der vielen kleinteiligen Veränderungen besser in den Griff bekommen? 

In erster Linie, indem sie ihr Wissensmanagement und ihr Weiterbildungsangebot an die verkürzten Veränderungszyklen anpassen. Problematisch sind ja nicht die Veränderungen an sich, sondern die Tatsache, dass sich die Organisationen nicht schnell genug darauf einstellen können. Traditionelle Weiterbildungskonzepte, die auf monolithischen Lerneinheiten beruhen, sind zu unflexibel, um den häufigen Neuerungen Rechnung zu tragen. Lernen muss modularer, flexibler und kleinteiliger werden. 

Wie schaffen es Unternehmen, entsprechende Lernangebote zu machen?  

Vor allem muss das Lernbudget sinnvoll verteilt und dorthin gelenkt werden, wo das meiste Wissen hängen bleibt. Nämlich an den Arbeitsplatz, wo sich Mitarbeitende mehr als 80 Prozent ihres Wissens aneignen. Stattdessen fließen immer noch durchschnittlich 80 Prozent der Lernbudgets in klassische Formate, also in Präsenztrainings oder formale Inhalte, die einfach nicht effizient sind, weil die Mitarbeitenden schon nach wenigen Wochen bereits 80 Prozent davon wieder vergessen haben.   

Wie könnte eine moderne Wissensvermittlung denn aussehen? 

Grundsätzlich gilt, dass die Lerneinheiten bei minimalem Pflegeaufwand kleiner und modularer werden müssen. Der Inhalt muss ansprechend präsentiert, aber nicht jedes Mal bis ins letzte Detail individualisiert werden. Hier eignen sich zum Beispiel Content-Templates. Auch Editiermöglichkeiten im Web sind hilfreich, weil sich Inhalte damit ohne die Hürde einer Client-Installation schnell und einfach erstellen oder bearbeiten lassen. User Generated Content ist ebenfalls ein wichtiger Baustein, der dabei hilft, Wissenslücken im Unternehmen zu identifizieren und zu schließen.  

Wichtig ist aber auch, dass die Inhalte zum individuellen Bedarf der Lernenden passen, also relevant sind. Wie erreiche ich das? 

Indem ich mich bei der Erstellung der Inhalte immer wieder frage, wer die Zielgruppe ist. Bei kurzen Inhalten lässt sich diese Frage deutlich leichter beantworten als bei großen Lerneinheiten. Mit einer entsprechenden Kennzeichnung können die Lernenden schnell beurteilen, ob die Lerneinheit für sie relevant ist oder nicht. Und es erspart ihnen die Frustration, nach dem Durcharbeiten eines zweistündigen Trainingsvideos feststellen zu müssen, dass 90 Minuten davon für sie irrelevant waren.  

Gibt es Formate, die beim Umstieg auf agiles Lernen besonders gut funktionieren oder die man stärker berücksichtigen sollte? 

Formatseitig gibt es keine Einschränkungen oder Präferenzen. Entscheidend ist vielmehr, dass man die gewählten Formate kleinteiliger einsetzt – ob das eine Schrittliste ist, eine reduzierte klassische E-Learning-Einheit oder eine Blätterstrecke mit 15 Bildern.  

Wie sieht es bei jüngeren Mitarbeitenden aus, Stichwort TikTok-Generation? Gibt es hier besondere Lerngewohnheiten, die berücksichtigt werden sollten?  

Auf jeden Fall spielt Unterhaltungswert eine Rolle. Die Formate sollten auf dem Mobiltelefon auch an der Bushaltestelle funktionieren und Spaß machen. Umfangreiche Lerneinheiten gehen am Informationsbedarf und an der Realität der jungen Menschen vorbei. Außerdem wollen sich die jungen Leute aktiv einbringen. Da besteht bei Unternehmen manchmal noch die Angst, dass das in die falsche Richtung laufen könnte. Aber ich glaube, es gilt, das nötige Vertrauen aufzubauen und mehr User Generated Content zuzulassen, ohne die Qualitätssicherung zu vernachlässigen. 

Was meinen Sie: Inwiefern werden Wissen und Wissensvermittlung zum Wettbewerbsvorteil? 

Ich denke, dass die Lernfähigkeit eines Unternehmens zu einem der wichtigsten Erfolgsfaktoren überhaupt wird. Das zeigt sich bereits heute bei der Frage, wie ich mich noch differenzieren kann, wenn alle Wettbewerber auf Cloud-Anwendungen umsteigen. Die Nutzung entsprechender Softwaretools wird zunehmend zur Commodity, sodass sich Wettbewerbsvorteile nur dann erzielen lassen, wenn allen Mitarbeitenden klar ist, wie sie diese Werkzeuge zur Unterstützung des Unternehmenserfolgs einsetzen können. Das heißt: Unternehmensspezifisches Wissen abseits von Standardkursen und Standardvorgehensweisen, effiziente Wissensvermittlung werden zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Dazu muss ich vermitteln, was mich auch ohne Software und Systeme einzigartig macht, also meine Prozesse, Regularien und Vorgehensweisen. 

Wenn die Vermittlung von Prozessen, Regularien und Vorgehensweisen so wichtig ist: Wie kann man diesen eher trockenen Themen mehr Aufmerksamkeit verschaffen? 

Ich beobachte häufig, dass die Inhalte zu diesen Themen sehr lieblos präsentiert werden. Dummerweise steht das aber in keinem Verhältnis zu ihrer Relevanz, weil beispielsweise Datenschutz im ureigensten Interesse eines Unternehmens liegt – das geht weit über ein Abhaken im LMS hinaus. Gerade hier hat eine kleinteilige und zielgruppenspezifische Aufbereitung das Potenzial, die Mitarbeitenden auch im Kopf zu erreichen, damit sie die Neuerung verstehen und in ihrer täglichen Arbeit berücksichtigen. 

Welche Rolle spielt die Informationseffizienz, also dafür Sorge zu tragen, dass die Mitarbeitenden keine Zeit mit der Suche nach relevanten Inhalten verschwenden? 

Die Verteilung des Wissens ist ein zentraler Aspekt. Als Mitarbeitende:r ist es für mich erst dann ideal, wenn das Wissen mich findet und wenn ich genau weiß, wo ich klicken muss, um an eine Wissensquelle zu kommen, anstatt auf gut Glück in Teams, auf SharePoint oder in einem Wiki zu suchen. Dazu muss das Wissen zentralisiert vorliegen und für die User:innen möglichst einfach und intuitiv zugänglich sein. 

Wie lässt sich das umsetzen? 

Idealerweise mit einer Digital Adoption Solution, zu der es aus meiner Sicht mittelfristig keine Alternative gibt. Wichtig dabei ist, dass die Lösung zu den komplexen Anforderungen am Digital Workplace passt. Das heißt: Sie muss die Mitarbeitenden nicht nur bei einzelnen Aufgaben unterstützen, sondern auch prozess- und applikationsübergreifend funktionieren, denn die Schnelllebigkeit und die Anwendungsvielfalt am Digital Workplace wird zunehmen. Deshalb glaube ich auch, dass Performance Support bzw. eine Digital Adoption Solution die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in den nächsten Jahren entscheidend mitbestimmt. Es wird einen Unterschied geben zwischen Unternehmen, die Digital Adoption leben, und solchen, die es nicht tun, da bin ich mir ganz sicher. 

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