Mark Twain soll einmal gesagt haben: „Prognosen sind schwierig – vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.“ Dass Ausmaß und Tempo von Veränderungen in Zukunft weiter zunehmen werden, dürfte allerdings mehr als wahrscheinlich sein. Für Unternehmen wird Veränderungskompetenz damit zur vielleicht wichtigsten Schlüsselqualifikation in der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts, die schon jetzt von disruptiven Umbrüchen und hoher Planungsunsicherheit geprägt ist.
Damit Organisationen diesen Herausforderungen erfolgreich begegnen können, brauchen sie einfache, effiziente und vor allem neue Change-Konzepte. Denn mit einer Erfolgsrate von etwa 30 Prozent steht das traditionelle Change Management bereits seit Längerem im Verdacht, keine passenden Lösungen für den Veränderungsbedarf im Rahmen der Digitalisierung parat zu haben. Und es spricht wenig dafür, dass sich daran etwas ändern wird, solange am traditionellen Vorgehen festgehalten wird. Für viele Unternehmen wird es deshalb höchste Zeit, ihr Change Management von Grund auf neu zu denken und agil aufzustellen, damit sie zur lernenden Organisation mit agilen Prinzipien und agilen Arbeitsweisen werden.
Mit der Brechstange
Um die Dringlichkeit dieses Appells nachvollziehen zu können, genügt ein kurzer Blick auf die wesentlichen Gründe für die bescheidene Erfolgsbilanz traditioneller Change-Konzepte. In den allermeisten Fällen scheitern sie nämlich an ihrer mangelnden Flexibilität und am Widerstand der Mitarbeitenden, weil beides in den klassischen Top-down-Ansätzen nur eine untergeordnete Rolle spielt. An erster Stelle stehen für das Projektmanagement die unternehmerische Neujustierung, damit verbundene Ziele und die dafür nötigen Change-Maßnahmen auf der Basis von Best Practices. Dabei handelt es sich in der Regel um groß angelegte, komplexe Vorhaben, die vom Management minutiös geplant und über definierte Milestones im Rahmen von Top-down-Anweisungen linear umgesetzt werden.
Zwar bieten Veränderungsprojekte, die auf dem klassischen Wasserfall-Modell beruhen, den Vorteil, dass das Management über hohe Planungssicherheit verfügt, von Agilität kann dabei aber keine Rede sein. Jede Phase wird konsequent nach Plan durchgeführt. Iterative Zwischenschritte oder gar nachträgliche Korrekturen sind nicht vorgesehen – auch dann nicht, wenn sich die Ausgangssituation oder die Kundenanforderungen zwischenzeitlich geändert haben.
Zu dem Risiko, ein Change-Projekt auch dann durchzuziehen, wenn es bereits auf halber Strecke überholt ist, kommt ein weiteres hinzu: Nicht selten werden die Menschen, die den Wandel tragen, vom Management erst eingebunden, wenn die Planung bereits abgeschlossenen ist, oder sie werden vorab nur unzureichend informiert. Die Mitarbeiter:innen werden vor vollendete Tatsachen gestellt und sind vom geplanten Wandel entsprechend überrascht. Einige begrüßen ihn, andere reagieren mit Unverständnis, fühlen sich überfordert und lehnen die geplanten Maßnahmen rundweg ab. Zielgerichtete Change-Kommunikation sieht anders aus!
Die damit verbundenen Probleme lassen sich kommunikativ kaum beheben, obwohl viele Unternehmen auf der gesamten Kommunikationsklaviatur spielen – vom Video-Event über Townhall-Meetings bis zu Einzelgesprächen. Der Fehler liegt nämlich im System, sozusagen in der DNA des klassischen Change Management: So sind bei jedem Projekt die Fragen nach dem Was, Warum und Wie zu beantworten und an die Mitarbeiter:innen zu kommunizieren. Über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, wie und wann diese Fragen beantwortet werden und wer kommuniziert – und zwar unabhängig von der Methode oder vom Thema. An diesem Punkt, nämlich an der Aufgabe, Veränderungsprojekte nachhaltig in der Unternehmenskultur zu verankern und ein agiles Mindset zu schaffen, scheitern viele Unternehmen jedoch, wie Umfragen zum Thema Change Management immer wieder zeigen.

Findet im Rahmen von Change-Prozessen ein kontinuierlicher Kompetenzaufbau statt, wandelt sich anfängliche Ablehnung in Neugier und in den Wunsch, die neuen Anwendungen oder Prozesse in den eigenen Arbeitsalltag zu integrieren.
Was agiles Change Management und Lean Change anders machen
Agiles oder Lean Change Management umgeht solche Risiken und Probleme, denn anders als bei der klassischen Vorgehensweise gibt es in agilen Organisationen keine umfassende Vorausplanung und keinen Big Bang. Für Agile Change Manager ist Veränderung ein kontinuierliches Thema, ein Prozess, der in kleinen, iterativen Schritten abläuft und die betroffenen Menschen zu Beteiligten macht. Konkret bedeutet das: Die Mitarbeitenden gestalten die Veränderungen selbst und setzen sie Schritt für Schritt in einer für sie akzeptablen Geschwindigkeit um.
Die Idee für diesen radikal neuen Ansatz im Change Management geht auf das „Agile Manifest“, das „Agile Manifesto“ aus dem Jahr 2001 zurück, das eine Gruppe von Softwareentwicklern nach einem Netzwerkevent in Utah erarbeitet hat. Aus Frust über die viel zu große Zeitspanne zwischen der Äußerung eines Kundenwunsches und der Bereitstellung des fertigen Produkts formulierten sie Grundwerte, die zu den Eckpfeilern agiler Arbeit geworden sind:
- Änderungen sind jederzeit willkommen, auch in späten Projektphasen.
- Veränderungen werden nicht im großen Maßstab durchgeführt, sondern in kleinen Sprints, die nur wenige Wochen dauern.
- Es werden keine detaillierten Lösungswege vorgegeben, sondern die einzelnen Schritte zum Ziel werden selbstverantwortlich erarbeitet, verbunden mit der dafür nötigen Unterstützung.
- Im regelmäßigen Austausch werden Status quo und Optimierungsmöglichkeiten besprochen. Die Teams passen ihr Verhalten an die Gesprächsergebnisse an.
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der sogenannten Agile Transformation ist die hohe Akzeptanz der beteiligten Mitarbeiter:innen. Auch das hat Methode: Wie in der agilen Produktentwicklung werden auch hier die erwünschten Auswirkungen der Change-Maßnahmen nicht ausschließlich von oben vorgegeben, sondern über regelmäßige Feedback-Schleifen vom agilen Change-Team validiert. Zeigt sich bei der Erfolgsmessung, dass der erreichte Zwischenstand hinter den Erwartungen zurückbleibt und keine Akzeptanz findet, wird der Plan angepasst und revalidiert, bis das Ergebnis stimmt und das nächste Change-Projekt in Angriff genommen werden kann.
Kontinuierliche Verbesserung durch Experimentieren, Lernen und Anpassen
Um geordnet ans jeweilige Projektziel zu kommen, bietet der Agile-Change-Zyklus Veränderungsmanagern und Führungskräften eine praktikable Gebrauchsanleitung, die sich in kleineren Teilprojekten testen lässt.
Hypothesen bilden und experimentieren
Der Kick-off beim Agile-Change-Kreislauf startet mit dem Aufstellen von Hypothesen auf Basis von Informationen, Erkenntnissen und den vorhandenen Optionen. Auf diese Weise lässt sich erkennen, welche Prozesse nicht rundlaufen, welche Change-Maßnahmen sich anbieten und wo mit Fallstricken zu rechnen ist. Welche Option am Ende das Rennen macht, hängt von mehreren Variablen ab, etwa vom Kostenaufwand, den erzielbaren Quick Wins oder den möglichen Folgerisiken. Ist die Entscheidung im Team gefallen, geht es ans Experimentieren, das sich idealerweise am Design Thinking orientiert. Dabei gilt: Tempo ist wichtiger als Genauigkeit.
Lernen durch schnelles Feedback
Agiles Change Management ist adaptives Veränderungsmanagement und lebt von schnellem Feedback. Die unmittelbare Rückmeldung aller von der Neuerung betroffenen Menschen sorgt dafür, dass die Veränderungen methodisch und präzise an den tatsächlichen Bedarf oder an neue Gegebenheiten angepasst werden. Durch den täglichen Austausch von weiteren Informationen, Kommentaren und Kommentar-Antworten kann das Team schnell und flexibel reagieren – ohne von vorab festgelegten Plänen ausgebremst zu werden.
Kontinuierliche Verbesserung
Agilität im Change Management erhöht die Veränderungsfähigkeit aller Beteiligten, weil eine Kultur des kontinuierlichen Lernens gefördert wird. Anders als beim klassischen Change Management ist Veränderung hier keine einmalige Aktion, die nach dem Big Bang abgeschlossen ist. Agile Transformation ist vielmehr ein kontinuierlicher, Feedback-getriebener Prozess, der in kleinen Schritten an vielen Stellen zur Verbesserung und Weiterentwicklung der gesamten Organisation beiträgt. Dabei werden größere Risiken vermieden, und eine produktive Fehlerkultur wird etabliert, die neuen Freiraum für Innovation schafft. Kontinuierliche Trainings bzw. Schulungen und Coachings, beispielsweise durch Change Agents bzw. den Agile Coach oder Scrum Master, begleiten diesen Prozess.
Wie bei traditionellen Change-Projekten ist Kommunikation auch beim agilen Change Management ein zentraler Erfolgsfaktor. Hier allerdings steht Feedback an erster Stelle, weil es entscheidenden Anteil an erfolgreicher Veränderung hat und deshalb systematisch gefördert werden muss. Dazu gehört auch, zu zeigen, an welchen Stellen das Feedback der Mitarbeiter:innen zu Verbesserungen geführt hat, um die Motivation für eine aktive Beteiligung an der kontinuierlichen Optimierung möglichst hoch zu halten.
Lean Management – agiler Change trifft Start-up-Mindset
Auch das Agile Change Management ist im Wandel: Immer öfter fällt der Begriff „Lean Change Management“, wenn von agilem Change Management gesprochen wird, die Begriffe Agile und Lean Change Management werden häufig synonym verwendet. Tatsächlich lassen sich in methodischer Hinsicht kaum Unterschiede ausmachen. Dennoch gibt es sie. So orientiert sich die Lean-Variante des agilen Change Management an dem 2011 veröffentlichten Buch „The Lean Startup“ von Eric Ries, das Lösungen für möglichst kostensparende und risikofreie, aber dennoch effiziente Produktentwicklungen von Start-ups vorstellt.
Lean Change Management nutzt die kurzen und meist hierarchiefreien Wege in typischen Start-ups, um auch in völlig unvorhersehbaren, also nicht planbaren Situationen einen Ansatzpunkt zu finden, von dem aus Verbesserungen angestoßen werden können. Konkrete Vorgaben zum Vorgehen gibt es nicht. So können bei allen Projektschritten Tools, Methoden und Modelle aus dem agilen oder dem klassischen Change Management sowie aus der Systemtheorie oder der Neurowissenschaft zum Einsatz kommen. Unternehmen, die ihre Organisation agil weiterentwickeln oder umfassend digital aufstellen wollen, können sich also das Beste aus verschiedenen Change-Welten für ihr Business aussuchen.
Fazit: Es geht auch ohne großen Wurf
Agiles Change Management hat gerade heute eine Daseinsberechtigung, weil es den Unternehmen beim Umgang mit dem hohen Tempo der Veränderungen von Umwelt- und Rahmenbedingungen hilft, Beispiel Digitalisierung: Anders als das klassische, disruptive Change Management wirkt eine agile Vorgehensweise während der digitalen Transformation geradezu wie eine Konstante, weil die Veränderungen nicht mehr mit dem einen, ganz großen Wurf umgesetzt werden, sondern der digitale Wandel kontinuierlich, Schritt für Schritt erfolgt und jederzeit dynamisch an neue Situationen angepasst werden kann.
Wie das Vorgehen beim Thema Change Management im Einzelnen aussieht und ob der Schwerpunkt beispielsweise auf Agile oder Lean Change gelegt wird, liegt im Ermessen jedes einzelnen Unternehmens. Entscheidend ist in allen Fällen: Anfangen und gemeinsam Erfahrungen sammeln. Und, ganz wichtig: Keine Angst haben! Auch schlechte Erfahrungen sind wertvoll, weil sie zeigen, wie es besser geht. Wann wagen Sie den ersten Schritt?