E-Akte: So werden Mitarbeitende nicht zur Achillesferse der Transformation
Nein, es läuft wirklich nicht rund mit der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung. Auch wenn Bund, Länder und Gemeinden die Einführung der elektronischen Akte (E-Akte oder eAkte) mit Hochdruck vorantreiben, fällt die Erfolgsbilanz bislang eher durchwachsen aus.
Denn obwohl die elektronische Aktenführung die Zusammenarbeit in der Organisation kräftig beschleunigt und die Grundlage ist für durchgängige Datenflüsse und eine medienbruchfreie Bearbeitung von Anträgen und Fällen, gehört der Gang zum Aktenschrank immer noch zum Alltag in deutschen Ämtern. Erst bei knapp einem Drittel der Behörden ist die elektronische Akte, einer aktuellen Umfrage zufolge, vollständig eingeführt. Alle anderen Verwaltungen arbeiten immer noch ganz, teilweise oder parallel mit Akten aus Papier. Damit reizt die öffentliche Verwaltung die Potenziale einer digitalisierten, modernen Verwaltung nicht einmal ansatzweise aus.
E-Akte: Der Faktor Mensch muss im Fokus stehen
Warum es mit der Digitalisierung viel langsamer vorangeht, als vom Gesetzgeber in den E-Government-Gesetzen gefordert, hat viele Gründe. Zum einen fehlen vielfach geeignete Schnittstellen zur Anbindung der jeweiligen Fachverfahren. Und es gibt immer noch Diskrepanzen bei der Umsetzung von gemeinsamen technischen und organisatorischen Standards.
Zum anderen ist es einem Großteil der Behörden bisher nicht gelungen, ihre Belegschaft angemessen auf den wahrscheinlich größten Kulturwandel in der deutschen Bürokratiegeschichte vorzubereiten. Selbst hoch motivierte Mitarbeiter:innen fühlen sich vielerorts alleingelassen und überfordert. Ihnen fehlt der richtige oder ausreichender Support zum Aufbau der nötigen User Adoption, mit deren Hilfe sie den Wandel meistern und die elektronische Akte effizient nutzen können.
Eine direkte Folge davon ist ein stellenweise ausgeprägter Mangel an Akzeptanz, Gift für jeden Projekterfolg. Gleich mehrere Studien belegen, dass rund 70 Prozent aller digitalen Transformationsvorhaben scheitern oder ihr Ziel verfehlen, wenn der Fokus vorrangig auf den technischen Systemen und den Prozessen liegt, während Veränderungsmanagement und Kompetenzaufbau vernachlässigt werden.
Mit einem Perspektivwechsel zur Akzeptanz der E-Akte
Doch wie lassen sich die Mitarbeiter:innen aktiv einbinden und bedarfsgerecht schulen? Zunächst einmal, indem man tatsächlich den Menschen in den Fokus nimmt und sich von einer User-zentrierten Perspektive aus der Frage widmet, was der Wandel – weg von Akten aus Papier, hin zur elektronischen Akte – für die Mitarbeitenden in einer Behörde bedeutet und vor welchen Herausforderungen sie damit stehen. In erster Linie gehören dazu:
- Veränderung von gewohnten Abläufen und Aufgaben:
E-Akte-Systeme bringen neue Standardfunktionen und -abläufe für die Bearbeitung von aktenrelevanten Dokumenten und Vorgängen, für die Registratur und die Aussonderung mit sich. Vertraute Abläufe und Aufgaben lassen sich nicht mehr wie gewohnt ausführen. - Angst und Unsicherheit vor Neuerungen:
Änderungen in den Arbeitsabläufen und bei den Zuständigkeiten im Umgang mit Dokumenten und Akten werden häufig als Verlust von Vertrautem erlebt. Das erzeugt Unsicherheit und nicht selten starke Abwehrreaktionen gegenüber den Neuerungen. Die Mitarbeitenden fragen sich: Wie verändert sich meine tägliche Arbeit? Schaffe ich mein Arbeitspensum mit dem neuen System und dem neuen Verfahren? - Unklare Erwartungshaltung:
Vielen Beschäftigten ist nicht klar, welche Erwartungen mit der Einführung der elektronischen Akte an sie gestellt werden und inwiefern sich ihre Verantwortlichkeit ändert. Sie erwarten Antworten auf Fragen wie: Welche Anforderungen kommen auf mich zu? Wo finde ich Hilfe bzw. Informationen, ohne lange suchen oder dauernd die Kollegen fragen zu müssen? Wie soll ich mir den ganzen Lernstoff merken, bis ich zum ersten Mal mit der neuen Akte arbeite?
Aus der User-zentrierten Perspektive betrachtet, zeigt sich schnell, warum Schulungskonzepte, die eindimensional auf Softwarefunktionen und allgemeine Veränderungen eingehen, häufig scheitern. Natürlich ist es unerlässlich, die neuen Arbeitsabläufe mit elektronischen Dokumenten möglichst detailliert zu vermitteln. Das Problem ist nur, dass die Vermittlung selten so ankommt und angenommen wird, wie erwartet. Denn die Bereitschaft, zu lernen und Veränderungsprojekte zu unterstützen, entsteht erst, wenn vorhandene Unsicherheiten aufgefangen, Erwartungshaltungen offengelegt und grundsätzliche Fragen geklärt werden.
Blockaden lockern mit einem ganzheitlichen Schulungskonzept
Dies gelingt nur, wenn die Mitarbeiter:innen bei dem Einführungsprozess der E-Akte ganzheitlich mitgenommen werden und das Schulungskonzept in jeder Phase auf die verschiedenen Veränderungen und Bedürfnisse eingeht. Dazu sollten drei grundsätzliche Fragen aus der Mitarbeiterperspektive beantwortet werden:
-
WARUM – zielt auf die Gründe für den Wandel: Warum wird mit dem Dokumentenmanagement-System auf die elektronische Aktenführung umgestellt? Welche Vorteile bringt die elektronische Verwaltungsarbeit der Behörde, und wo liegen die Vorteile der digitalen Aktenführung für mich persönlich?
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WAS – zielt auf die anstehenden Veränderungen der Abläufe und Aufgaben: Was wird sich für mich ändern? Welche neuen Prozesse und Aufgaben sind künftig auszuführen?
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WIE – zielt auf die Klärung der neuen, unsicheren Situation: Wie verändern sich die Zuständigkeiten, Aufgaben und Verantwortlichkeiten für jede:n Einzelne:n?
Mit der Beantwortung dieser Fragen erhalten die Mitarbeitenden die aus ihrer Perspektive nötigen Informationen, um die geplante Umstellung auf digitale Dokumente zu verstehen und die Einführung der E-Akte aktiv zu begleiten.
Noch mehr Bedeutung kommt den o. e. Fragen zu, wenn der Einsatz von ECM-Systemen, wie die E-Akte und verwandte Lösungen auch genannt werden, in Bereichen mit besonderen Anforderungen geplant ist. Beispiele dafür sind die digitale Personalakte, die Umsetzung der elektronischen Form in der Justiz oder die Einführung der E-Rechnung.
Fünf digitale Qualifizierungsbausteine in der öffentlichen Verwaltung
Um die tiefgreifenden Veränderungen durchzusetzen, die nötig sind, um die Verwaltungsarbeit von Dokumenten aus Papier auf die elektronische Akte und weiter zur Vorgangsbearbeitung umzustellen, empfiehlt sich der gezielte Einsatz von Qualifizierungsbausteinen. Die Einführung der E-Akte bzw. der digitalen Verwaltungsarbeit sollte deshalb bewusst auch elektronische Akzeptanz- und Schulungsmaßnahmen einbeziehen. Im Hinblick auf die Qualifizierung und das Veränderungsmanagement empfiehlt es sich, die folgenden fünf Bausteine zu erarbeiten:
- Das Basiskonzept Qualifizierung richtet sich an den Bereich Aus- und Fortbildung und liefert einen strukturellen Rahmen für die Qualifizierung des Personals im Public Sector im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Es bietet Entscheidungshilfe bei der Frage, welche Maßnahme für Organisation und Aufgabe am besten geeignet ist.
- Die Bildungsbedarfsanalyse hat alle Zielgruppen im Blick. Sie definiert alle Schulungsinhalte und -formate, sodass differenzierte Trainingsangebote entwickelt werden können.
- Letztendlich soll ein ausgewogener Mix aus elektronischen und klassischen Schulungsmedien entstehen Dieser Trainingsansatz des Blended Learning schließt alle Organisationsbereiche der Verwaltung ein.
- Web-basiertes Training und elektronische Hilfen am Arbeitsplatz ergänzen Präsenzveranstaltungen und die klassische, oft telefonische oder persönliche Anwenderbetreuung.
- Der Kommunikationsplan bringt die Vorteile der Veränderung und die Maßnahmen zur Unterstützung der Akzeptanz auf den Punkt.
E-Akte: Mit User Adoption zur digitalen Verwaltung
Die Beschäftigten sollten ermutigt werden, ihre neuen Aufgaben eigenständig umzusetzen und bei Bedarf Unterstützung oder weitere Informationen einzuholen. Damit dies in der Praxis gelingt und selbstverständlicher Teil der Lernkultur werden kann, müssen die Verwaltungen die Voraussetzungen für den systematischen Aufbau von User Adoption schaffen. Sie ist der Gradmesser für die Haltung, mit der die Mitarbeitenden der E-Akte begegnen, und für den Umfang, in dem sie das neue Medium nutzen. Entscheidend ist, dass der Aufbau von User Adoption von den richtigen Werkzeugen und passgenauen Inhalten unterstützt wird und organisationsweit erfolgt. Nur wenn alle mitziehen, von der Leitungsebene bis zur Registratur, wird die elektronische Akte in der Verwaltung die angestrebte Wirkung und Wirtschaftlichkeit entfalten.
User Adoption von Beginn an planen
User Adoption Toolbox
Angesichts von permanentem Zeitmangel und knappen Haushaltsmitteln sollten Projektverantwortliche und Entscheider:innen im Vorfeld sorgfältig klären, mit welchen Maßnahmen und in welchem Ausmaß sie die User Adoption in ihrer Organisation fördern wollen und können. Dabei hilft die Beantwortung folgender Fragen:
- Sind in einem Querschnitts-Teilprojekt „Training“ oder in den Teilprojekten „Prozess-Analyse“ und „Prozess-Optimierung, Reorganisation und Softwareeinführung“ ausreichend Ressourcen geplant, um den Mitarbeitenden die Lerninhalte angemessen zu vermitteln?
- Wie können Routinen und eingefahrene Abläufe im Büro durchbrochen werden?
- Wie kann der Geschäftsbetrieb während des Roll-outs und der Trainings gesichert werden?
- Bestehen bei den Mitarbeitenden und der Personalvertretung Vorbehalte gegenüber digitalen Qualifizierungsformaten?
- Können in der aktuellen Situation überhaupt Präsenztrainings für die E-Akte angeordnet werden?
- Sind Themen wie Veränderungsmanagement, Training und Anwenderbetreuung im Projektbudget bzw. im Haushalt ausreichend berücksichtigt?
Checkliste: Maßnahmen zur Förderung der User Adoption
Sind diese Fragen beantwortet, gilt es, Maßnahmen zu identifizieren, die zur jeweiligen Organisation passen. Die folgende Checkliste hilft bei der Entscheidung, welche Bausteine infrage kommen:
Maßnahme |
Empfohlene Umsetzung in der Transformation |
Veränderungsmanagement |
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Grundlagen der neuen Anwendung E-Akte / Vorgangsbearbeitung |
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Arbeitsschwerpunkte und Spezialwissen |
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Anwenderbetreuung |
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Digitaler Helfer |
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Fazit
Der Mensch ist der entscheidende Faktor, wenn es um die erfolgreiche Implementierung, die Nutzung und den nachhaltigen Erfolg der E-Akte geht. Nur mit der Akzeptanz der Mitarbeitenden, mit ihrer Kompetenz und der Motivation, den Wandel weg von herkömmlichen Dokumenten und Akten aus Papier aktiv zu begleiten, lassen sich die gesetzlichen Vorgaben erfüllen, die zahlreichen Vorteile der elektronischen Aktenführung nutzen und wird der Kulturwandel in der öffentlichen Verwaltung einen kräftigen Schub bekommen. Unabdingbar dafür: ein Perspektivwechsel, Offenheit für Neues und die Bereitschaft, Altes loszulassen.