Employee Experience – der X-Faktor am Arbeitsplatz

Kein Bock, kein Plan – es steht schlecht um die Motivation der Mitarbeitenden in deutschen Unternehmen. Vor allem aber spricht wenig dafür, dass klassische HR-Konzepte daran etwas ändern könnten. Deshalb setzen immer mehr Personalprofis den Kurs in Richtung Human Experience Management (HXM). Zu Recht?
09. Dezember 2020
8 min

Headset auf und rein ins nächste Teammeeting, nebenbei ein paar Mails beantworten, den Knoten im neuen Projekt lösen und kurz vor Feierabend schnell noch alle To-dos notieren, damit man am nächsten Morgen gleich wieder voll durchstarten kann. So oder so ähnlich stellen sich vermutlich die meisten Chefs und Personalleiter den idealen Mitarbeiter vor: engagiert, voller Inspiration und umsichtig. In Wirklichkeit sind die Heldinnen und Helden der Arbeit aber eher die Ausnahme. Denn anscheinend fragen sich viele Mitarbeiter kurz vor Feierabend nicht, was am nächsten Tag ansteht, sondern wie sie es schaffen sollen, den Performance-Limbo zu überstehen.

Aktivitätssimulation im Motivationsloch

Das mag übertrieben klingen. Allerdings zeigen gleich mehrere aktuelle Studien: Am Arbeitsplatz herrscht unter den Mitarbeitern eindeutig mehr Frust als Lust. So kommt zum Beispiel der jüngste Gallup-Report State of the Global Workplace zu dem ernüchternden Ergebnis, dass 85 Prozent der befragten Angestellten in 155 Ländern unmotiviert ins Büro gehen. Hiervon haben 20 Prozent bereits jede emotionale Bindung zu ihrem Unternehmen verloren und innerlich gekündigt. Das gilt auch und besonders in Deutschland, das laut dem Employee Expectations Report 2020 von Peakon mit 23 Prozent weltweit an der Spitze liegt: In keinem anderen Land gehen die Menschen so lustlos zur Arbeit wie hier.

Finanziell bedeuten diese Zustände ein Desaster. Peakon schätzt, dass Unternehmen mit 10.000 Angestellten Kosten von über 48 Millionen Euro schultern müssen, weil demotivierte Mitarbeiter schneller kündigen oder wegen Krankheit fast doppelt so oft ausfallen wie motivierte Kollegen. Entsprechend düster sind auch die Zahlen von Gallup. Auf jährlich sieben Billionen Dollar beziffert die Organisation den weltweiten Gesamtschaden des Motivationslochs, auf rund 6.000 Milliarden Euro also. Was ließe sich mit diesem Geld nicht alles anfangen?

HR am Scheideweg

Zumindest ein Teil dieser Summe dürfte künftig in eine neue Evolutionsstufe von HR fließen, denn die traditionellen HR-Methoden sind, so die aktuelle Studienlage, offenbar nicht mehr zeitgemäß. Ein Grund dafür ist ausgerechnet die Digitalisierung der HR, genauer gesagt die dort eingesetzte Software. Denn mit der Einführung der ersten digitalen Systeme für das Human Capital Management (HCM) beziehungsweise aufgrund der darin abgebildeten Prozesse und Funktionalitäten entwickelte sich die unglückselige Tendenz, die Mitarbeiter letztlich nur als eine weitere Ressource zu betrachten, die sich vom Recruiting über das Talent Management bis zur Nachfolgeplanung genauso gut quantifizieren, managen oder austauschen lässt wie jede andere auch.

Keine Frage, mit den gesammelten Daten der Mitarbeiter kann heute jede HR-Abteilung die Personalsituation im Unternehmen wirksam kontrollieren und Fehlentwicklungen entgegenwirken. Doch all die Daten sagen nichts darüber aus, mit welcher Einstellung ein Mitarbeiter seinen Job ausübt und wie er sich dabei fühlt. Systemseitig ist das gesamte Lifecycle-Management bis heute überwiegend darauf ausgerichtet, die Anforderungen der Personalabteilung an das Ressourcenmanagement zu erfüllen. Die Folge: Die Personaler kennen sich bestens aus mit effizienten Prozessen, standardisierten Workflows und niedrigen Verwaltungskosten, von den Wünschen und Bedürfnissen der Mitarbeiter wissen sie aber nur wenig. Es hat bislang einfach keine Rolle gespielt.

Motivations-Booster Human Experience Management

Das Problem ist nur: Dienst nach Vorschrift reicht im dynamischen globalen Wettbewerb längst nicht mehr aus. Erfolg ist heute gleichbedeutend mit herausragenden Leistungen. Und dafür braucht es kreative, serviceorientierte und engagierte Mitarbeiter, die sich wertgeschätzt fühlen und entfalten können.

Genau hier kommt Human Experience Management ins Spiel.

Anders als die klassischen Human Resources legt modernes Human Experience Management unter dem Kürzel HXM den Fokus auf die Wünsche, Erfahrungen und Emotionen der Mitarbeitenden. Aufmerksames, andauerndes Zuhören, kontinuierliches gegenseitiges Feedback und die bewusste Gestaltung positiver Erfahrungen entlang der Employee Journey in den sogenannten „Moments that matter“ sollen für größere Motivation und für eine stärkere Identifikation mit den Zielen des Unternehmens sorgen.

Aus HXM-Sicht ist die Mitarbeiterzufriedenheit für den Erfolg eines Unternehmens nämlich genauso wichtig wie die Kundenzufriedenheit. Das heißt, Kunden und Mitarbeiter sind im Hinblick auf die Unternehmensziele gleichrangige Stakeholder. Denn auch das zeigen die Untersuchungen von Gallup: Die in puncto Employee Experience (EX) führenden Unternehmen sind im Schnitt rund 20 Prozent produktiver, effizienter und verkaufsstärker als Wettbewerber mit einem schwachen Employee Engagement.

X-Daten - der Schlüssel für eine positive Employee Experience

Diese Erkenntnis ist zwar nicht ganz neu, gewinnt aber im hart umkämpften „War for Talents“ massiv an Bedeutung. Jede Personalabteilung und jede Führungskraft sollte sich deshalb ernsthaft die Frage stellen, wie sich die Mitarbeitererfahrung, also die Employee Experience, verbessern und eine Unternehmenskultur aufbauen lässt, die die Menschen motiviert, inspiriert, an das Unterhemen bindet und zu einer herausragenden Performance beiträgt.

Eine wesentliche Grundlage dafür ist die richtige Information auf der Basis von Erfahrungsdaten, auf Neudeutsch von sogenannten X-Daten. Dummerweise besitzen die meisten Unternehmen diese Daten gar nicht. Stattdessen verfügen sie – in Hülle und Fülle – über operative Daten in traditionellen HCM-Systemen, also über O-Daten, mit denen sich etwa der Erfolg des Employer Branding oder statistisch relevante Entwicklungen bei Einstellungsquote, Einarbeitungszeit, Weiterbildung, Krankenstand oder Fluktuation analysieren lassen.

Zwar können die Personalabteilungen mithilfe der transaktionalen O-Daten gut erfassen, was im Unternehmen passiert, sie wissen aber nicht, warum es passiert. Hierfür benötigen sie X-Daten, die sich beispielsweise durch einfache Umfragen sammeln lassen oder durch das gezielte Einholen von Feedback in Situationen, die einen prägenden Einfluss auf die Employee Experience haben, also dort, wo es wirklich darauf ankommt.

Human Experience Management (HXM): Kombination von O- und X-Daten für eine positive Employee Experience
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Kombination von O- und X-Daten für eine positive Employee Experience

Wertvolle Erkenntnisse durch die Kombination von O- und X-Daten

Richtig interessant wird es, wenn O- und X-Daten miteinander korrelieren. Denn durch die Kombination der quantitativen mit den qualitativen Daten gewinnen die Unternehmen die nötige Information und vollkommen neue Möglichkeiten für die positive Gestaltung der Employee Experience, sei es für einzelne Mitarbeitende oder im Rahmen eines weiter gefassten Programms.

So zeigt der ganzheitliche Blick auf operative und Erfahrungsdaten zum Beispiel, wie gut sich neue Mitarbeiter integriert fühlen, welchen Eindruck sie bisher vom Unternehmen haben und wie sich der jeweilige Status quo auf die individuelle Leistung auswirkt. Zudem geben kombinierte X- und O-Daten wichtige Hinweise darauf, welche Erlebnisse ausschlaggebend dafür sind, ob ein Mitarbeiter bleibt oder geht. Darüber hinaus lässt sich feststellen, wie bestimmte Maßnahmen, etwa weniger Kontrolle zugunsten von größerer Entscheidungsfreiheit, die Ausstattung mit angesagten digitalen Tools, eine nachhaltige Karriereförderung oder regelmäßige Gespräche mit der zuständigen Führungskraft, Motivation und Produktivität des einzelnen Mitarbeiters beeinflussen.

Das Wichtigste dabei ist aber: Durch die Analyse von kombinierten X- und O-Daten erkennen die Unternehmen sehr schnell, wo ihr Anspruch und die Wirklichkeit auseinanderklaffen. Damit sind sie in der Lage, die Employee Experience an den entscheidenden Stellen effizient und signifikant zu verbessern.

Employee-Experience-Design – Brücken in die Praxis

Natürlich sind Daten eine gute Grundlage, um das Richtige zu tun – vor allem gute Daten. Im Falle von Employee Experience helfen aber auch die besten Daten wenig, wenn das Mindset nicht stimmt. Denn für eine gute EX ist es notwendig, das Unternehmen und alle HR-Aktivitäten aus dem Blickwinkel der Mitarbeiter zu betrachten. Aus dieser Perspektive heraus sind die Mitarbeitenden eben keine verwaltbare Ressource, sondern Menschen, die geschätzt und bezahlt werden wollen, die ihre Arbeit als sinnvoll erleben möchten, die sich beruflich und persönlich weiterentwickeln wollen. Was heißt das nun konkret? Die beste Antwort auf diese Frage lautet: Finden wir es heraus! Denn genau wie bei dem Vorbild, der Customer Experience, geht es auch bei der Employee Experience zunächst einmal darum, die verschiedenen Erwartungen und Erlebnisse der Mitarbeiter zu verstehen, um sie anschließend zu verbessern.

Für das Customer Experience Management wurden verschiedene Tools und Methoden entwickelt, die auch im Human Experience Management zur Anwendung kommen: die Recherche, die Analyse aller erlebnis- und erfahrungskritischen Touchpoints auf der Employee Journey, die Arbeit mit Personas und lösungsorientierten Prototypen sowie ein kontinuierliches Tracking und Nachjustieren der Erlebnisqualität.

Mit diesen Tools können Unternehmen ohne viel Aufwand und Budget erste Erfahrungen im Employee-Experience-Design sammeln und die Ergebnisse mithilfe von Feedback dann kontinuierlich verbessern.

5 Schritte zum Employee Experience Design
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5 Schritte zum Employee Experience Design

Die wichtigsten Schritte:

  1. Recherchieren: Auch die kreativsten Lösungen bringen wenig, wenn niemand weiß, welche Lösung wirklich funktioniert. Deshalb sollte die Personalabteilung die Mitarbeitenden im Unternehmen befragen und aufmerksam zuhören, anstatt davon auszugehen, dass sie die Wünsche und Erwartungen der Kollegen bereits kennen. Die Fragen könnten lauten: Wie erlebst du die Arbeit im Team? Was willst du erreichen? Was brauchst du, um produktiver zu sein? Was würdest du dir wünschen, damit dir der Job mehr Spaß macht?
  2. „Moments that matter“ identifizieren: Statt mit der Gießkanne überall ein wenig zu verbessern oder gut gemeinte Absichtserklärungen zu promoten, sollten in der Recherchephase mithilfe von verschiedenen Journey Maps diejenigen Situationen im Unternehmen identifiziert werden, die eine besonders intensive Erlebnisqualität haben und eine negative Employee Experience bewirken. Anschließend sollte eine Maßnahme priorisiert werden, die bei wenig Aufwand den größten Mehrwert verspricht und die Employee Experience positiv beeinflusst.
  3. Personas für die Zielgruppen entwickeln: Personas sind fiktive Figuren, die verschiedene Zielgruppen repräsentieren. Diese häufig rollenbasierten Steckbriefe helfen zu verstehen, welche Wünsche und welchen Leidensdruck eine Zielgruppe hat, vor welchen Herausforderungen sie steht und was sie braucht, um ihre Aufgaben zu erfüllen.
  4. Einen Prototyp entwickeln: Aus den Lessons Learned lässt sich ein erster, einfacher Prototyp entwickeln, dessen Zweck einzig und allein darin besteht, die Erlebnisqualität im ausgewählten „Moment that matters“ zu verbessern. Das kann eine App sein, ein smarter Chatbot oder eine andere Lösung und muss keineswegs perfekt sein – es reicht, wenn der Zweck erfüllt wird.
  5. Testen, tracken, optimieren: Über mehrere Feedbackschleifen wird der Prototyp ausgiebig getestet und Schritt für Schritt perfektioniert, bis er den Anforderungen der Mitarbeitenden gerecht wird. Dabei muss nicht jede Einzelmeinung berücksichtigt werden. Als pragmatischer Kompromiss gilt hier: Die Mehrheitsmeinung reicht aus.

Viel entscheidender als das Streben nach Perfektion beim Employee-Experience-Design ist die Experimentierfreude. Frei nach dem Motto „Planst du noch oder arbeitest du schon?“ sollte ein Unternehmen möglichst schnell konkret und aktiv werden, und sich dabei ohne Wenn und Aber an den Interessen der Mitarbeiter orientieren. Dann steht der Entstehung einer guten Employee Experience nichts mehr im Wege.

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