Interview

„Es lohnt sich, in virtuelle Führung zu investieren“

Für die reibungslose Zusammenarbeit in virtuellen Teams benötigen Führungskräfte und ihre Mitarbeitenden spezielle Hard und Soft Skills. Mit #collaboGreat, einem Story-basierten Schulungskonzept, fördert Siemens diese Kompetenzen gezielt. Was es mit dem Gemeinschaftsprojekt von Siemens und tts auf sich hat und warum es mehr solcher Projekte geben sollte, erklärt Wolfgang Klampfer, Head Branch & People Excellence bei Siemens in Zug.
02. September 2022
6 min
Matthias Langenbacher, Geschäftsführer, tts - knowledge matters. Matthias Langenbacher

Matthias Langenbacher: Herr Klampfer, mittlerweile haben praktisch alle größeren Unternehmen Remote Work eingeführt und festgestellt, dass das im Großen und Ganzen gut funktioniert. Wo ist das Problem?

Wolfgang Klampfer: Wenn Remote Work mit der Verlegung des Büroarbeitsplatzes ins Homeoffice gleichgesetzt wird, gibt es keins. Dafür genügen Laptop, Schreibtisch und eine stabile Internetverbindung. Aber Remote Work bedeutet ja nicht nur eine Ortsveränderung. Viel wichtiger ist, wie sie sich auf die Beziehung der Mitarbeitenden untereinander auswirkt, wenn die nur noch virtuell zusammenkommen. Wie verändern sich Rolle und Status, Kommunikation und Kooperation? Wie binde ich jede Person aktiv ein, und was kann ich tun, wenn die Technik klemmt? Hinter all diesen Fragen stehen Anforderungen, die viele Leute überfordern und die immer mehr Organisationen umtreiben.

M. Langenbacher: Auch Siemens?

W. Klampfer: Ja. Bei uns ist das vielleicht früher aufgefallen als in kleineren Unternehmen, weil unsere Managementteams schon seit Jahren international verteilt sind. Aber auch hier hat Corona als Beschleuniger gewirkt. Beim Ausbruch der Pandemie ist uns richtig klar geworden, wie groß die Masse der Leute war, die beim Umstieg auf virtuelle Meetings Hilfe brauchten. Außerdem hatten wir etwa zur gleichen Zeit Microsoft 365 eingeführt. Das sorgte für zusätzliche Verunsicherung. Interessant an der damaligen Situation war die unausgesprochene Erwartung an die Führungskräfte nach dem Motto: Ihr könnt das managen, ihr seid ja Führungskräfte. Nur waren viele Führungskräfte genauso überfordert von der neuen Infrastruktur und der völlig anderen Gesamtsituation. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es ja kaum eine Schulung zum Thema virtuelle Führung.

M. Langenbacher: Zur Unterstützung der virtuellen Teamarbeit haben Sie und Ihr People-Excellence-Team kurz darauf #collaboGreat eingeführt. Was ist das Besondere an diesem Schulungskonzept?

W. Klampfer: Als Team, das Innovationen im Lernbereich treibt, ist uns der Umstieg auf die virtuelle Zusammenarbeit sehr leichtgefallen. Also haben wir uns gefragt, wie wir unsere Ideen und Methoden weitergeben können, damit sich Führungskräfte wieder wohlfühlen oder zumindest so performen können, dass die Teams zusammenbleiben und die Bindung ans Unternehmen nicht nachlässt.

Natürlich hätten wir einfach auf unser LMS verweisen können, wo es tonnenweise Material zu Themen wie Virtual Leadership oder virtuelle Meetings gibt. Das wollten wir aber nicht, weil die Leute davon völlig überwältigt sind und sie zu viele Klicks bis zu einem Lerninhalt brauchen, der dann oft gar nicht zu ihrer Fragestellung passt.

Stattdessen wollten wir eine pragmatische, möglichst einfach zugängliche Lösung. Am Ende haben wir uns dann für einen Collaboration Hub mit Story-basiertem Ansatz auf SharePoint entschieden. Story-basiert heißt: Wir suchen eine konkrete Situation aus, in der sich eine Person befindet, etwa „How to Conduct Virtual Team Meetings“. Anschließend zeigen wir den Nutzer:innen im Rahmen einer Story mit Intro-Video, Infografiken und anderen Elementen Schritt für Schritt genau einen Lösungsweg, also eine Best Practice statt 20 möglicher Lösungen, die nur Verwirrung stiften würden.

M. Langenbacher: Wie viele dieser Best Practices haben Sie umgesetzt?

W. Klampfer: Insgesamt haben wir für #collaboGreat 13 „How to“-Storys rund um die Themen virtuelles Teamwork, virtuelle Führung oder technische Hilfestellung realisiert und damit alle wichtigen Fragestellungen abgedeckt. Und weil es schnell gehen musste, haben wir uns darauf geeinigt: Ab Story eins gehen wir live damit und legen alle drei Wochen eine neue Story nach. Dieser agile Ansatz war eine gute Entscheidung, weil wir schnell vorangekommen sind, vom Start weg wertvolles Feedback bekamen und alle drei Wochen immer wieder neu auf das Projekt aufmerksam machen konnten.

M. Langenbacher: Sie haben #collaboGreat gemeinsam mit tts umgesetzt. Wie war die Rollenverteilung?

W. Klampfer: tts hat die ganze Projektleitung übernommen. Dadurch konnten wir uns auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren, ohne permanent an Termine, Milestones oder Deliverables denken zu müssen. Außerdem hat sich tts um die Realisation des Collaboration Hub gekümmert, das heißt das SharePoint-Konzept für #collaboGreat ausgearbeitet und umgesetzt, Workshops durchgeführt, die Videos für alle Storys erstellt und die grafische Gestaltung der Infografiken für die Lösungsschritte übernommen. Gut war auch, dass tts als Project Owner direkt live in SharePoint arbeiten konnte. Dadurch ging alles sehr schnell. Wir haben eigentlich „nur“ die Storys geschrieben.

M. Langenbacher: Wie ist #collaboGreat angekommen?

W. Klampfer: Durchweg positiv. Selbst Leute mit Erfahrung beim Einsatz von technischen Tools haben gesagt: Das ist attraktiv, mit ein, zwei Klicks erreichbar und superverständlich gemacht. Inzwischen fragen auch andere Abteilungen vermehrt bei uns nach, ob sie auf die Storys verlinken können, um ihre Mitarbeitenden auf das Unterstützungsangebot aufmerksam zu machen. Manche wollen die Storys oder Teile davon sogar auf ihrer eigenen Plattform verwenden, damit die Nutzer:innen in ihrer täglichen Arbeitsumgebung darauf zugreifen können.

M. Langenbacher: Sind die Storys nur für Führungskräfte gedacht, oder können alle darauf zugreifen?

W. Klampfer: Als die Idee dazu in einer Managementkonferenz aufkam, standen zunächst die Führungskräfte im Fokus. Aber uns bei People Excellence war sofort klar: Das ist unser Thema, das wollen wir treiben und dabei natürlich auf alle Mitarbeitenden schauen. Allein in unserem Bereich ist das eine Zielgruppe von 20.000 Leuten. Aber wir haben vom ersten Tag an auch gesagt, dass alle 270.000 Beschäftigten darauf zugreifen können sollen. Im Moment haben wir 2.500 Unique User mit 24.000 Zugriffen und einer durchschnittlichen Verweildauer von fünf Minuten. Das ist schon sehr gut. Anfangs waren es nur 200 bis 300, nach dem Start einer Kommunikationskampagne hat es dann richtig Fahrt aufgenommen.

M. Langenbacher: Nach Ihrer Erfahrung auch mit #collaboGreat: Was für typische Probleme haben Mitarbeitende im Homeoffice, verglichen mit der Arbeit im Büro, und welche besondere Unterstützung brauchen sie?

W. Klampfer: Trotz aller Virtualisierung und vieler erstklassiger Tools brauchen wir den persönlichen Kontakt. Wir sind Beziehungswesen, das darf man nicht vergessen. Egal, wie weit die Teams verteilt sind: Wenigstens ab und zu müssen wir in der realen Welt zusammenkommen – um uns persönlich auszutauschen, gemeinsam etwas trinken zu gehen und lockere Gespräche zu führen, bei denen man sich besser kennenlernt. Oder einfach nur, um Spaß zu haben.

Auch bei der virtuellen Zusammenarbeit gibt es noch viel Luft nach oben. Selbst wenn alle die Technik beherrschen, darf man nicht vergessen, dass es noch Hunderte Möglichkeiten gibt, Meetings interessanter und persönlicher zu gestalten. Wir haben zum Beispiel im Hintergrund von Teams immer einen Chat offen, wo jede:r während eines Meetings etwas posten darf, und die anderen können darauf reagieren. Das kann was zum Thema sein, aber auch etwas Zwischenmenschliches.

Und was in Zukunft noch wichtiger wird, sind Soft Skills für die Virtualität, also Leute einzubinden, zu aktivieren, direkt mit Namen anzusprechen, das ganzheitliche Wahrnehmen der virtuellen Situation. Das ist herausfordernd und benötigt neue Skills, auch und besonders von den Führungskräften.

M. Langenbacher: Wie verändert sich die Rolle von Führungskräften beim virtuellen Teamwork?

W. Klampfer: Wir sollten nicht vergessen, wie wichtig die Führungskräfte in all diesen Veränderungsprozessen sind. Ob die Mitarbeitenden gut in diesem virtuellen Umfeld und in der persönlichen Entwicklung vorankommen, hängt eben zum großen Teil von der Führungskraft ab. Die letzten zwei Jahre haben mir gezeigt, dass es sich lohnt, mehr in Virtual Leadership zu investieren, ganz speziell in die Skills von jungen Führungskräften, weil sie die Zukunft einer Firma sind. Wenn diese Talente lieber in ihrer Komfortzone bleiben, dann passiert auch bei den Mitarbeitenden nichts. Es braucht Leute, die mit Führung vorangehen, die die Menschen mitnehmen und dabei einen psychologisch sicheren Raum schaffen, in dem sich die Mitarbeitenden gut aufgehoben fühlen. Das ist bei der virtuellen Teamarbeit eine besondere Herausforderung, und die Führungskräfte müssen wissen, wie sie das umsetzen können.

M. Langenbacher: Wo liegt für Sie der besondere Reiz, Menschen beim Umgang mit neuen Technologien zu unterstützen?

W. Klampfer: Das Thema berührt mich auch persönlich. Nach vielen Jahren im Bereich Learning & Development merke ich, wie mich das Thema Innovation am Arbeitsplatz neu begeistert. Ich habe so eine Lust, das nach vorne zu treiben, Leute mitzunehmen und ihnen Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, mit denen sie wachsen können. Menschen, die rudern, zeigen, wie man Segel setzt – dafür brenne ich.

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