Fluch und Segen: Die Demokratisierung der HR-IT
Die Demokratisierung der IT, angetrieben durch KI-, Cloud- und No-Code-Plattformen, ermöglicht es auch HR-Abteilungen, die Digitalisierung eigenständig voranzutreiben. Dies eröffnet neue Chancen, bringt jedoch auch zusätzliche Verantwortung und erhöhten Druck mit sich. Besonders in der HR-Branche, die durch die Coronapandemie bereits massive Transformationen erlebt hat, stellt die IT-Demokratisierung eine Herausforderung dar, da sie IT-Kompetenzen erfordert, die über das klassische HR-Wissen hinausgehen. Unternehmen reagieren darauf, indem sie entweder interne IT-Kompetenzen in HR-Teams aufbauen oder externe Partner hinzuziehen, um die Lücken zu schließen.
Als der Netscape-Gründer und Unternehmer Marc Andreessen 2011 seinen berühmten Artikel „Why Software is Eating the World“ veröffentlichte, stieß er mit seinen Prognosen bei einem Großteil der Leserschaft noch auf ungläubiges Staunen. Heute scheint es tatsächlich so, als würden IT-Unternehmen die Wirtschaft übernehmen: Tesla baut ein Auto um Software herum, und Airbnb und Uber mischen angestammte Traditionsmärkte auf, ohne auch nur ein einziges Apartment oder Auto selbst zu besitzen. Und die Reise ist noch nicht zu Ende: So arbeiten die KI-Softwareschmieden bereits an ihrer Vision vom „Seamless Computing“, bei dem alle IT-Geräte im Hintergrund perfekt zusammenspielen und Tastatur, Maus oder Monitor überflüssig werden. Die Maschinen tun, was man ihnen sagt, fast wie im Raumschiff Enterprise: „Computer: Earl Grey. Heiß.“
Diese Beispiele zeigen, welch unglaubliche Transformation die IT in den letzten Jahrzehnten durchlaufen hat und weiter durchläuft. Was früher teuer, kompliziert und exklusives Hoheitsgebiet von IT-Nerds war, ist heutzutage in den entwickelten Gesellschaften für jeden zugänglich, einfach zu bedienen und aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.
Diese Entwicklung, oft als „Demokratisierung der IT“ bezeichnet, hat weitreichende Auswirkungen auf die Menschen, die Gesellschaft und natürlich auch auf die Unternehmen. Dort bewirkt die damit verbundene Dezentralisierung beispielsweise, dass die Verantwortung für die Auswahl, Implementierung und Nutzung von Technologien zunehmend von der IT- auf die einzelne Fachabteilung übertragen wird.
Aber was genau ist die Demokratisierung von IT eigentlich? Woher kommt sie? Welche neuen Anforderungen bringt sie, insbesondere für HR, und wie können sie bewältigt werden?
Technologie als Werkzeug zur Mitgestaltung
Demokratisierung ist, vereinfacht gesagt, ein gesellschaftlicher Prozess, der dem Menschen Teilhabe und Mitgestaltung ermöglicht. Das gilt für die Demokratisierung der Arbeitswelt genauso wie für die der Politik und der IT.
Anders als in der Politik und in der Arbeitswelt basiert die Demokratisierung der IT jedoch nicht auf mit Nachdruck, bisweilen sogar mit Gewalt durchgesetzten Forderungen nach größerer Freiheit und mehr Rechten. Niemand hat jemals für die Erfindung des Autos, des Computers und des Internets demonstriert oder unter Gewaltandrohung ein softwaredefiniertes Smartphone mit Touchdisplay statt mit Tasten gefordert.
Trotzdem leben wir heute in einer komplett durchtechnisierten Welt, in der leistungsfähige Technologien und ihr jeweiliger Mehrwert für breite Bevölkerungsschichten zugänglich sind. Die Technologie ist sozusagen von oben nach unten in die Gesellschaft diffundiert, die Zugangsbarrieren sind nach und nach gefallen:
- Die Frage der Kosten erübrigt sich dank erschwinglicher Hardware.
- Cleveres Interface-Design ermöglicht eine einfache, reibungslose Bedienung – auch ohne Fachkenntnisse.
- Die dynamische Entwicklung des Internets bietet völlig neue Nutzungsmöglichkeiten und Vorteile und überzeugt dadurch selbst ursprünglich skeptische Anwender:innen.
Entsprechend lässt sich die Demokratisierung der IT definieren als ein Prozess, der technische Teilhabe und Mitgestaltung ermöglicht, weil Hardware tendenziell immer günstiger, Software ohne Expertenwissen bedienbar und der Zugang zu Informationen und Onlineservices radikal vereinfacht und gleichzeitig immer attraktiver wurde.
Mehr Freiheit, mehr Druck
Analysten wie Gartner fordern daher besonders die IT-Führungskräfte und CIOs dazu auf, die Demokratisierung der IT nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu verstehen.
Ihr Argument: Die IT-Demokratisierung in den Unternehmen findet nicht automatisch statt, nur weil die nötigen Technologien vorhanden sind. Sie muss gewollt sein und aktiv gefördert werden, zum Beispiel, indem man den Fachabteilungen „Demokratisierungs-Tools“ wie Low-Code-, Cloud- oder KI-Anwendungen zur Verfügung stellt, mit denen sie die Digitalisierung unabhängig von der IT-Abteilung aktiv mitgestalten können.
Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass die neue Freiheit im Zuge der IT-Demokratisierung auch neue Verantwortlichkeiten mit sich bringt und den jetzt schon hohen Transformationsdruck weiter erhöht.
Dies gilt insbesondere für den Personalbereich, der in den letzten 20 Jahren – je nach aktuellem Diskussionsstand – mal als akut vom Aussterben bedroht, mal als unverzichtbarer Businesspartner der Geschäftsleitung dargestellt wurde und wird.
Recruiter, Enabler oder Tech-Worker?
Vor allem während der Coronapandemie hatten viele HR-Abteilungen im Schnelldurchlauf enorme Transformationsanstrengungen unternommen und mit der Einführung von Cloud-HR-Lösungen in kürzester Zeit neue Kollaborationsweisen und Arbeitsmodelle etabliert. Gleichzeitig hat dieser Technologieschub aber auch die Identitätskrise von HR weiter verstärkt.
Denn einerseits erkennen immer mehr Unternehmen, dass das Engagement und die Loyalität der Mitarbeitenden entscheidende Erfolgsfaktoren für die Digitalisierung sind. Auf diesem Terrain fühlen sich HR-Abteilungen seit jeher zu Hause. Wenn sie auf der anderen Seite nun aber auch noch geeignete IT auswählen, entwickeln und anpassen sollen, sind Kompetenzen gefragt, die weit über das hinausgehen, was klassische Personaler:innen aufgrund ihrer Ausbildung mitbringen. Denn wer übernimmt die Prozess-Konfiguration, wer kümmert sich um das Release- und Change-Request-Management oder prüft mögliche Implikationen eines SAP-Updates?
Im Detail ist es mit der Demokratisierung der IT nämlich doch nicht ganz so einfach.
IT-Demokratisierung als Make-or-buy-Entscheidung
Viele Führungskräfte haben bereits reagiert – und gehen vermehrt dazu über, Technologieteams innerhalb von HR aufzubauen, die IT-Kompetenz der HR-Mitarbeitenden zu fördern und offene Stellen mit entsprechend qualifiziertem Personal zu besetzen. Doch beides kostet Zeit, und nicht jedes Unternehmen kann auf einen großen Talentpool zugreifen, um Qualifikationslücken schnell und vor allem nachhaltig zu schließen.
Alternativ oder ergänzend holen deshalb viele Unternehmen externe Partner:innen an Bord, die sie beim Application Management unterstützen und das dafür nötige Know-how wie auch die erforderlichen Ressourcen sofort bereitstellen können. Denn letztlich geht es auch hier um eine Make-or-buy-Entscheidung. Welche Option die beste ist, um die Potenziale der eigenen Cloud-HR-Lösungen voll auszunutzen, muss jede:r HR-Verantwortliche für sich entscheiden. Ganz demokratisch.