Mobile Learning: Sieben Mythen, die Sie besser vergessen sollten

Erst Hype, dann Trend und heute gefühlt eine Selbstverständlichkeit: Mobile Learning gilt unter vielen Entscheidern nach wie vor als heiliger Gral des zeit- und ortsunabhängigen Lernens. Gleichzeitig ranken sich aber auch viele Mythen um das Thema – bis hin zu der weltfremden Vorstellung, dass das Lernen per Smartphone genauso viel Spaß macht wie das Binge-Watching von Netflix-Serien. In diesem Kommentar räumen wir mit den sieben gängigsten Illusionen rund um Mobile Learning auf und zeigen Ihnen, worauf es wirklich ankommt.
31. März 2022
8 min

Mythos 1: Große Lernblöcke in kleine Portionen aufteilen – das reicht doch schon

Es klingt wie ein gutes Rezept und scheint so einfach: Man nehme größere Lerneinheiten, zerteile sie in mundgerechte Häppchen – bingo! Schon hat man viele kleine „Lern-Snacks“ für zwischendurch, die perfekt in den Alltag der Mitarbeitenden eingebettet sind und eine großartige User Experience bieten – allein deshalb, weil sie mobil von überall nutzbar sind. Sozusagen als Gratis-Sahnehäubchen obendrauf.

Richtig an dieser Annahme ist aber eigentlich nur: Kurze Lerneinheiten sind wegen der kleinen Bildschirme von Smartphones für Mobile Learning grundsätzlich besser geeignet als große Blöcke. Das allein muss aber noch keinen positiven Einfluss auf die User Experience haben. Schließlich wird der „Herr der Ringe“ ja auch nicht besser, wenn man das Filmepos in Fünf-Minuten-Häppchen zerteilt – weder für den „normalen“ Zuschauer noch für eingefleischte Arthouse-Fans.

Eine gute User Experience entsteht aus dem optimalen Zusammenspiel von Medium und Inhalt. Microlearning-Formate passen perfekt zum Smartphone – aber nur, wenn sie auch relevant sind für den Arbeitsalltag der Lernenden. Prüfen Sie deshalb unbedingt, ob sich Ihr Lern-Content inhaltlich und dramaturgisch zur Häppchenbildung eignet. Und orientieren Sie sich im Zweifelsfall immer daran, dass Relevanz vor Masse geht. Halten Sie sich an die Regel: So viel wie nötig und so wenig wie möglich. Damit schaffen Sie eine gute Basis für eine überzeugende User Experience.

Mythos 2: Mobile Learning macht die eigenen Lernangebote für Digital Natives attraktiver

Auch in diesem Mythos steckt zwar ein Fünkchen Wahrheit, tatsächlich aber verhält es sich damit wie mit dem Scheinriesen von Michael Ende: Je näher er kommt, desto kleiner wird er. Denn erstens sind Digital Natives an hochwertige Inhalte gewöhnt, die in der Regel jedoch mithilfe millionenschwerer Budgets erstellt wurden. Verglichen damit wirken die eigenen Lerninhalte nicht ganz so großartig. Kommen dann noch veraltete IT-Strukturen hinzu, die gar nicht für den Mobilzugriff vorbereitet sind und ein nahtloses Arbeiten mit Mobilgeräten unmöglich machen, schrumpft Mobile Learning für Digital Natives ganz schnell zum No-Go zusammen.

In den meisten Fällen sind es nämlich nicht die Mobile-Learning-Initiativen selbst, die die User Experience ausmachen, sondern die Rahmenbedingungen, die Einbettung in den Arbeitsalltag. Verabschieden Sie sich deshalb von dem Gedanken, Content allein sei schon eine Lösung. Denken Sie stattdessen immer an das große Ganze. Beziehen Sie von Beginn an alle relevanten Stakeholder mit ein, insbesondere auch Ihre IT-Abteilung, und behalten Sie die User Journey im Blick: Welche individuelle Unterstützung brauchen die Mitarbeitenden, welche Inhalte kommen dafür infrage, und welche davon sind für Mobile Learning geeignet? Haben Sie die Antworten gefunden und bieten auch die technischen Voraussetzungen für die mobile Nutzung keinen Grund zur Klage, kann selbst aus der kleinsten Mobile-Learning-Initiative etwas ganz Großes werden.

Mythos 3: Mobile Learning erleichtert den Zugang zu relevanten Inhalten

Mobile Learning bedeutet, dass ich mit einem Fingertippen jederzeit und von überall auf Inhalte zugreifen kann. Es erleichtert den Zugang zu den Angeboten – allerdings nur in einer idealen Welt. Die Praxis sieht oft ganz anders aus. Häufig scheitert der schnelle Zugrifft auf Content schon daran, dass kaum jemand weiß, wo die relevanten Inhalte zu finden sind. In welcher App oder Website soll ich suchen? Und selbst wenn ich fündig werde: Woher will ich wissen, dass es genau die Information ist, die ich benötige?

Ein wesentlicher Vorteil von gutem Mobile Learning besteht darin, dass relevante Inhalte genau dort angezeigt werden, wo sie benötigt werden. Die Lernmotivation bleibt also nicht durch erfolgloses Suchen auf der Strecke. „Zwei Klicks und zehn Sekunden“ lautet die Devise hier. Deshalb reicht es auch nicht aus, einfach nur ein mobiles Front-End für die eng verschachtelten Angebote eines Learning-Management-Systems zu bauen. Im Gegenteil: Gerade bei Mobile Learning muss viel Energie darauf verwendet werden, den Zugang zu erleichtern.

Im Idealfall suchen Lernende nicht nach der Information, sondern werden von ihr gefunden. Und diesem Ideal können Sie sich Schritt für Schritt annähern. Zum Beispiel, indem Sie Mobile Learning auf praxistaugliche Einsatzszenarien abstimmen. Sprechen Sie dazu vorab mit Ihren Zielgruppen, um deren Anforderungen am Arbeitsplatz zu verstehen und in passgenaue Angebote umwandeln zu können.

Mythos 4: Mobile Learning ist gleich E-Learning

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber viele Menschen denken bei Mobile Learning automatisch an E-Learnings, die sich interaktiv auf dem Smartphone durcharbeiten lassen. Klar, das kann im Einzelfall eine sinnvolle Lernform sein, es ist aber bei Weitem nicht die einzige. Videos, Podcasts oder Retention-Lösungen für eine kurze Wiederholung von bereits Gelerntem eignen sich nämlich genauso gut, wenn nicht sogar sehr viel besser. Das bedeutet aber: Es gibt nicht DAS Mobile Learning. Lernen mit mobilen Endgeräten ist nur ein Ausdruck der technischen Möglichkeit, jederzeit an jedem Ort relevante Informationen zu nutzen und anzuwenden, selbstständig und bedarfsbezogen.

Das ist keine Absage an das klassische, formale E-Learning in mobiler Form, das nach wie vor Sinn macht, solange es punktuell eingesetzt wird. Allerdings sollte man im Hinterkopf behalten, dass laut der klassischen Lernformel „70-20-10 das formale Lernen nur etwa zehn Prozent des Kompetenzerwerbs ausmacht.

Die entscheidende Frage ist, wie sich die restlichen 90 Prozent unterstützen lassen, der Wissenserwerb durch informelles Lernen. Und da kann Mobile Learning die Muskeln spielen lassen. Dazu ist es hilfreich, Mobile Learning nicht nur als Möglichkeit zum Konsum von formalem Lern-Content aufzufassen. Sie erzielen deutlich größere Erfolge, wenn Sie stattdessen das Lernen im „flow of work“, die Zusammenarbeit und die gemeinsame Erstellung von neuem Wissen im Arbeitsablauf unterstützen. Diejenigen, die verantwortlich sind für die Bereitstellung von Mobile-Learning-Angeboten, sollten sich daher auch nicht als reine Content-Provider positionieren, sondern als Partner für die Etablierung moderner Ansätze rund um das Lernen am Arbeitsplatz. Mit Mehrwert für alle Beteiligten.

Mythos 5: Mit Mobile Learning lassen sich endlich auch Blue Collars erreichen

Blue Collars haben oft keinen Zugang zu einem PC, aber dank Mobile Learning könnten auch sie endlich jederzeit für Lernangebote erreichbar sein. Meist scheitert dies jedoch noch an der Tatsache, dass sie kein Endgerät zum Lernen zur Verfügung gestellt bekommen. Die Vorstellung, dass die Kolleg:innen nach dem Motto „BYOD – bring your own device“ ganz selbstverständlich ihre privaten Geräte samt Download-Volumen für Lernzwecke nutzen, geht nämlich an der Realität vorbei.

Doch viel schwerer als diese Hürde, die wegen des technischen Fortschritts sicherlich schon in wenigen Jahren überwunden sein wird, wiegt eine andere Tatsache: Das Thema Lernen ist bei den Blue Collars ganz anders belegt als bei den sogenannten Knowledge Workers. In der Regel brauchen sie eine konkrete Hilfestellung bei der Lösung eines akuten Problems im Arbeitsprozess. Lernen auf Vorrat, auch mobil, spielt dagegen eine untergeordnete Rolle.

Das A und O bei der Entwicklung passender mobiler Unterstützungsangebote ist also, die spezielle Arbeitssituation von Blue Collars zu berücksichtigen. Führen Sie daher am besten Interviews mit Vertretern dieser Zielgruppe, um deren „Pain & Gain“ in Erfahrung zu bringen. Lernen Sie die tagtäglichen Schwierigkeiten und Herausforderungen Ihrer Kolleg:innen in den Fabrikhallen oder Verkaufsstellen kennen. Und: Beziehen Sie sie in die Entwicklung von mobilen Initiativen mit ein, um iterativ Lösungen für die Probleme der Menschen an den wertschöpfenden Stellen Ihres Unternehmens zu entwickeln.

Mythos 6: Mobile Learning bringt Lernen an jeden Arbeitsplatz

Mitarbeitende, die am PC arbeiten, benötigen streng genommen kein Mobile Learning, es sei denn, man will ihnen aus Gründen der Motivation einen Medienwechsel anbieten. Ansonsten können die Nutzer:innen an ihrem PC im Büro oder im Homeoffice lernen – ganz ohne Mobile Learning.

Und die anderen, die, an deren Arbeitsplatz sich kein Schreibtisch befindet? Hier sind tatsächlich viele Szenarien denkbar, bei denen Mobile Learning messbare Vorteile bringt (siehe Mythos 4). Allerdings stellen mobile Einsatzszenarien ganz eigene Anforderungen an die Inhalte:  Während bei klassischen Lernangeboten vorwiegend mit dem Top-down-Ansatz gearbeitet wird, erfordert der mobile Zugriff im Arbeitskontext genau auf die Situation abgestimmte Inhalte. In einem mobilen Szenario suchen die Mitarbeitenden nämlich nicht etwa nach Fortbildungsmöglichkeiten. Sie suchen nach einer konkreten Antwort auf eine akute Frage bei ihrer aktuellen Tätigkeit, nach Performance Support, der dringend benötigte Informationen und Know-how direkt an den Ort des Geschehens bringt.

Gibt es bei Ihnen einen Mix aus schreibtischlosen und PC-Arbeitsplätzen? Dann sollten Sie genau prüfen, ob und wo Mobile Learning wirklich das Mittel der Wahl ist. Und, falls Sie sich dafür entscheiden: Messen und analysieren Sie nach der Einführung, wie gut Mobile Learning angenommen wird, damit Sie Ihr Angebot bedarfsorientiert optimieren können.

Mythos 7: Mitarbeitende lernen auch auf dem Weg nach Hause oder dem Sofa

Das mag in dem einen oder anderen Fall schon stimmen, aber machen wir uns nichts vor: Nach einem anstrengenden Arbeitstag haben die wenigsten Menschen noch Lust, für die Arbeit zu lernen. Und wenn doch, dann aus eigenem Antrieb und nur das, was sie brennend interessiert. Dabei spielen Plattformen wie YouTube eine größere Rolle als semiprofessioneller Lern-Content des Arbeitgebers, denn ein wichtiger Aspekt, wenn es um Mobile Learning geht, ist die Selbststeuerung.

Klar, als Zusatzangebot in Form eines Podcasts oder motivierender Kurzvideos rund um die Einführung von neuen Verfahren oder Prozessen mag auch mal ein Mobile-Learning-Schnipsel eine willkommene Informationsquelle sein. Doch wenn Sie möchten, dass Ihre Lernangebote wahrgenommen werden, sollten Sie den Nutzer:innen während der Arbeit ausreichend Zeit zum Lernen zugestehen und ihnen auch den Zugriff auf kostenpflichtige Services ermöglichen, etwa auf Udemy oder LinkedIn-Learning.

Fazit: Mobile Learning – mehr als ein Nice-to-have

Wenn Sie wollen, dass sich Ihre Mobile-Learning-Angebote im Alltag bewähren, müssen Sie sich zuallererst mit den Zielen der Mitarbeitenden auseinandersetzen und mit den Rahmenbedingungen, für die diese Angebote konzipiert werden. Denn zeitgemäßes Mobile Learning passt nicht nur genau zur jeweiligen konkreten Arbeitssituation, es dient auch als Informationsquelle. Wenn es Ihnen dann noch gelingt, die Mitarbeitenden in den Bereitstellungsprozess mit einzubeziehen, haben Sie den großen Clou gelandet:  Sie haben nicht nur sichergestellt, dass sich die Lerninhalte an den tatsächlichen Bedürfnissen orientieren, sondern auch, dass die Vielfalt der Arbeitsplätze in Ihrem Unternehmen berücksichtigt wird. Und dann ist Mobile Learning nicht nur ein Nice-to-have, sondern ein integrales Werkzeug für jede Situation im Arbeitsalltag.

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