„Wir sind anders“ – eine Geschichte über den Mut zum Standard im Public Sector
Wissensschmiede mit Tradition
Judith Widauer: Ihr sagt, dass Ihr anders seid?
Maximilian Petrasko: Ja. Wir sind anders – und das seit der Gründung im Jahr 1365; diese Aussage ist im Laufe der Zeit gewissermaßen zu unserem Werbeslogan geworden. Wir sind anders, unter anderem weil wir als Universität den Anspruch haben, schon alles zu wissen. Deshalb haben wir uns bislang so schwer damit getan, externen Rat anzunehmen. Das hat auch mit unserer langen Geschichte zu tun. Über all die Jahrhunderte hinweg haben wir alle Krisen in Eigenregie gemeistert.
Aktuell sind wir von dieser wunderbaren VUCA-Welt umspült. Da drängte sich uns die Frage auf: Wie gehen wir damit um? Wir haben entschieden, uns diesem Wandel zu stellen, uns zu öffnen und die Außenperspektive zuzulassen. Insofern ist unser Projekt auch die Geschichte, wie wir neue Erkenntnisse gewonnen haben und sehr viel über uns lernen konnten.
Judith Widauer: Was habt Ihr konkret gemacht und von welchen Rahmenbedingungen seid ihr ausgegangen?
Jutta Wieltschnig: Wir haben SAP SuccessFactors Recruiting eingeführt. Mit dem neuen Tool wollen wir das Recruiting auf ein neues Level heben, auch aufgrund des schärfer werdenden Wettbewerbs um Talente, dem wir uns stellen müssen. Die Einführung war allerdings alles andere als trivial, weil wir eben anders sind.
Beispielsweise läuft bei uns die Suche nach qualifizierten Fachkräften dezentral. Wir haben pro Jahr rund 1.200 Ausschreibungen; das können wir nicht alles selbst begleiten. Zwar geben wir als Personalabteilung die Qualitätskriterien für den Recruitingprozess vor und steuern das Ganze, aber um das Prozedere kümmern sich die jeweiligen Fachbereiche selbst.
Es gab aber noch zwei weitere Gründe, warum die Einführung nicht trivial war. Zum einen sind wir aktuell dabei, unsere Arbeitgebermarke zu stärken, und zum anderen haben wir parallel ein Know-how-Portal aufgebaut. In diese beiden Initiativen war das Einführungsprojekt eingebettet.
Jutta Wieltschnig, Leiterin Personalentwicklung Uni Wien
Judith Widauer: Wie sah es mit der Cloud Readiness aus?
Maximilian Petrasko: Diesbezüglich haben wir ausgewiesene Expertise an der Uni, etwa die Fakultät für Informatik und auch andere Fachkräfte. Deshalb sind einige Einheiten schon cloud ready und haben für sich bereits ein Konzept und eine Policy etabliert. Die Kunst besteht bis heute darin, hier eine einheitliche universitätsübergreifende Lösung zu schaffen.
Judith Widauer: Wie seid ihr das Projekt angegangen?
Maximilian Petrasko: Indem wir zunächst euch als externen Partner engagiert haben. Wir wollten jemanden haben, der die Sache unvoreingenommen von außen betrachtet und der uns berät, wie wir mit dieser Andersartigkeit umgehen. Judith, wie hast du die Situation am Anfang erlebt?
Judith Widauer: Wir machen regelmäßig globale Rollouts und sind mit dem Aspekt der Dezentralität durchaus vertraut. Die Dimension an der Uni Wien hat uns dann doch überrascht. Es war aber für uns ein spannendes Setting, so viele Stakeholder abzuholen, einzubinden und mit ihnen in den Austausch zu gehen.
Die Erfolgsfaktoren
- Erkennen und Verstehen der Andersartigkeit
- Pflege einer ausgeprägten Kommunikationskultur
- Benennen und Involvieren von Ambassadors
- Agile Vorgehensweise nach der Methodik des Test Driven Development
Maximilian Petrasko: Das war tatsächlich der Schlüssel zum Erfolg, dass wir von Anfang an Kommunikationsräume geschaffen und uns eng und intensiv mit allen Fachbereichen, die mit Recruiting zu tun haben, ausgetauscht und abgestimmt haben – vor allem auch mit den zahlreichen Gremien, darunter der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen, der Betriebsrat, die einzelnen Dekanate, der wissenschaftliche Betriebsrat etc.
Dazu haben wir Botschafterinnen und Botschafter ausgewählt, die von der Sache überzeugt sind, aber wir haben ebenso kritische Stimmen ins Projektteam eingeladen. Damit ist es uns gelungen, auch führungsbewusste Persönlichkeiten abzuholen.
Als kluger Schachzug erwies sich unsere agile Vorgehensweise. Mithilfe dieser Methodik, dem sogenannten Test Driven Development, haben wir systematisch geprüft, wie das neue Tool mit unseren Anwendungen, etwa Jira, Confluence, ja dem gesamten Toolstack, zusammenspielt.
Jutta Wieltschnig: All diese Erfolgsfaktoren trugen dazu bei, dass wir Ende Mai dieses Jahres live gehen konnten. Entscheidend war in meinen Augen, dass wir uns regelmäßig trafen und austauschten und auch viele Einzelgespräche führten. Diesen hohen Aufwand haben wir bewusst betrieben, weil wir im Jahr zuvor SAP HCM eingeführt und daraus unsere Lehren gezogen haben, gerade in puncto Einbeziehung und Kommunikation.
Konkret wählten wir einen klassischen Ansatz mit Steering und Sounding Board. Im erweiterten Projektteam waren im Schnitt 50 Personen. Wie viele genau, hing auch vom jeweiligen Bereich ab. Gerade wenn es um Personalauswahl geht, sind viele juristische Besonderheiten zu berücksichtigen. Das hat uns zuweilen an die Grenzen gebracht, wo wir dachten: Kann eine Standardsoftware diese Komplexität überhaupt abbilden?
Judith Widauer, Managing Director & Regional Head tts Austria
Maximilian Petrasko: Spannung entstand zusätzlich durch die unterschiedlichen Erwartungshorizonte. Auf der einen Seite die Erwartung der Uni-Angehörigen mit ihren sieben Scrum-Teams, die ja auch das alte System entwickelt haben, und auf der anderen Seite die begrenzten Möglichkeiten einer Standardsoftware. Mit diesem Delta umzugehen, war nicht einfach. Aber: Auch wenn es zuweilen ein hartes Aneinanderreiben war, hatten wir stets Vorschläge und haben den Prozess gemeinsam iterativ entwickelt.
Judith Widauer: Die Herausforderung bestand tatsächlich darin, dass wir ein festes Budget, die Cloudlösung und ein Standardprodukt hatten; damit mussten wir arbeiten. Unser Ziel war es, ein gutes Produkt abzuliefern, das funktioniert und die Bedürfnisse erfüllt, und mit diesen Rahmenbedingungen war das eine echte Challenge, und ich bin stolz, dass wir das so gemeistert haben.
Jutta Wieltschnig: Ja, wir können sagen, dass wir aus der Lösung herausgeholt haben, was machbar ist. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an das tts-Team, die das mit ihrer Kreativität ermöglicht haben.
Für uns geht es nun nach dem Rollout und den erfolgreichen Informationsveranstaltungen mit Volldampf darum, das System erfolgreich zu betreiben.
Maximilian Petrasko: Ja, unser gemeinsames Projekt ist zu Ende, aber die tatsächliche Arbeit beginnt jetzt, und es ist noch ein langer Weg, bis alles eingetaktet ist und läuft.
Themen, die uns besonders umtreiben, sind Security und digitale Barrierefreiheit. Letzteres müssen wir gemäß Webzugänglichkeitsgesetz sicherstellen. Auch beim Thema Security haben wir im Hinblick auf die Schnittstellen zu unseren anderen Systemen, etwa dem HCM, mitunter hohe technische Hürden zu nehmen. Etwas weniger problematisch sehe ich den Datenschutz. Wer wie wir mit einer Checkliste arbeitet, die Verantwortlichen der Gremien informiert und den Datenschutzbeauftragten involviert, ist hier auf der sicheren Seite.
Judith Widauer: Wie sieht Euer Fazit aus?
Jutta Wieltschnig: Wir sind froh, dass in unserer Abteilung mittlerweile die meisten hinter dem neuen Tool stehen, sonst könnten wir die Sache nicht in die Organisation tragen. Dass wir anders sind, war eine Herausforderung, aber im Grunde ist jede Organisation auf ihre Art anders. Der Clou besteht darin zu erkennen, worin diese Andersartigkeit besteht und worauf man Rücksicht nehmen muss.
Maximilian Petrasko: Ja, dieses Erkennen und Verstehen der Andersartigkeit war das A und O. Für uns selbst war der Mut, jemand externes mit ins Boot zu holen, entscheidend.