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Mit User Adoption zum Unternehmenserfolg

Jedes Softwareprojekt beginnt mit großen Erwartungen: Die Prozesse sollen optimiert werden, die Kosten sinken und die Umsätze steigen. Tatsächlich gibt es aber nur selten ein Happy End. Die meisten Implementierungsprojekte scheitern, weil die Verantwortlichen einen der wichtigsten Erfolgsfaktoren unterschätzen: die User Adoption.
13. Juli 2023
6 min
Britt Bürgy, Product Management bei tts - knowledge matters Britt Bürgy

Haribo, Lidl, Otto, Deutsche Bank oder BER – die Liste von IT-Projekten, die in Deutschland im großen Stil Schiffbruch erlitten haben, ist lang. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Denn ganz egal, welche Umfrage oder Studie der letzten Jahre man auch zurate zieht: Die Erfolgsquote bei der Einführung neuer Software ist erschreckend gering.

Und täglich grüßt das Murmeltier

Jedes zweite PLM-Projekt scheitert anscheinend bereits in der Anfangsphase. Noch drastischer sieht die Bilanz bei der Einführung von ERP-Lösungen aus: Sage und schreibe 75 Prozent dieser Projekte gehen einer Studie von Gartner zufolge schief – entweder weil Budget- und Zeitpläne komplett aus dem Ruder laufen und die Zielvorgaben nicht erreicht werden oder weil die Business-Performance so schnell und tief in den Keller rauscht, dass die Reißleine gezogen werden muss, um Schlimmeres zu verhindern.

Keine Frage: Grundsätzlich bringen alle Implementierungsprojekte Risiken mit sich, egal ob es sich um die Einführung von CRM, PLM, ERP oder einem Core-Banking-System handelt. Überall lauern Stolpersteine, Fallstricke, Fettnäpfchen, und wie in Endlosschleife tauchen immer wieder unvorhergesehene Fragen auf, die sich auf keiner Prioritätenliste finden und die niemand konkret beantworten kann – und täglich grüßt das Murmeltier! Definierte Ziele verschwinden, neue geraten ins Blickfeld. An allen Ecken und Enden entstehen in kurzer Zeit mehr Brände, als man austreten kann. Andererseits ist daran nichts Außergewöhnliches. Schließlich rechnen alle Beteiligten damit, dass der Performance-Knick spätestens kurz vor oder nach dem Roll-Out des neuen Systems kommt. Trotzdem stellt sich natürlich die Frage, wie sich das einkalkulierte Tief erfolgreich überwinden oder sogar vermeiden lässt.

Stolperstein Nummer eins: Fehlende Akzeptanz

Unglücklicherweise gibt es auf diese Frage keine allgemeingültige Antwort. Jedes Unternehmen ist einzigartig darin, digitale Vorhaben erfolgreich zu managen oder in den Sand zu setzen. In manchen scheitert eine Softwareeinführung an ungenauer Planung ohne ausreichende Puffer bei Budget und Zeit. Bei anderen liegt es am schleichenden Kontrollverlust durch übertriebenes Customizing, ausufernde Anforderungen und überforderte Teams – der allseits gefürchteten Scope Creep. Und oft hakt es natürlich auch bei der Technik: ein Bug, ein unlösbares Schnittstellenproblem, unsaubere Datenbereinigung während der Integration von IT-Silos, oder das neue Tool entpuppt sich komplett als Fehlgriff.

Absoluter Spitzenreiter bei den Implementierungs-Pleiten ist aber etwas ganz anderes: Laut einem aktuellen Leitfaden für die Einführung von ERP-Software von Deloitte sind fünf der zehn größten Hürden direkt auf mangelndes Change Management und fehlende User Adoption zurückzuführen. Die Folgen dieser Versäumnisse reichen von fehlender Unterstützung seitens der betroffenen Fachabteilungen, Mitarbeiter und Anwender bis zum offenen Boykott. Besonders fatal dabei ist, dass sich eine ablehnende Haltung in der Regel auch dann nicht mehr ändert, wenn in technischer Hinsicht alles erfolgreich verlaufen ist. Die Operation ist dann zwar gelungen, der Patient aber trotzdem tot.

User Adoption so früh wie möglich aufbauen

Kein IT-Projekt kann Erfolg haben, wenn ausgerechnet die betroffenen Mitarbeiter und zukünftigen Benutzer kein Verständnis für den Change haben und die neue Technologie ablehnen. Schließlich kann auch die beste Software ihr Potenzial nicht entfalten, wenn sie im Unternehmen nur widerwillig verwendet wird, Funktionalitäten ungenutzt bleiben oder Bedienfehler den Traum von der „Single Source of Truth“ schon kurz nach dem Go-live platzen lassen.

User Adoption: Der Schlüssel zur erfolgreichen Einführung neuer Technologien
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User Adoption: Der Schlüssel zur erfolgreichen Einführung neuer Technologien 

Zu den häufigsten Ursachen für die mangelnde Akzeptanz einer neuen Technologie gehört, dass die Entscheidung vom Management getroffen wurde, ohne die späteren Nutzer einzubeziehen. Dabei ist es essenziell, alle internen Stakeholder möglichst frühzeitig in den Change einzubinden.

Hier spielt User Adoption eine Schlüsselrolle – und das aus mehreren Gründen:

  1. Sie holt den Anwender dort ab, wo er steht, und vermittelt ihm ein tiefgreifendes Verständnis für die Ursachen und die Ziele der geplanten Neuerungen.
  2. Mitarbeiter können den unternehmerischen und den individuellen Mehrwert der neuen Lösung erkennen.
  3. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitarbeiter die neue Software und auch die damit verbundenen Veränderungen der Prozesse, Arbeitsweisen und Rollen akzeptieren.
  4. Anwender können alle relevanten Funktionen des Tools in vollem Umfang effizient nutzen.
  5. Zufriedenheit und Motivation der Teams nehmen zu, während sich das Risiko von Personalabgängen im Projektverlauf verringert.
  6. Weniger Fehlbedienungen verhindern Performance-Einbrüche und Fehlinvestitionen in letztlich ungenutzte Strukturen, während der ROI steigt.
  7. Weil es weniger Support-Anfragen von Mitarbeitern gibt, wird das IT-Team entlastet.

Schulungskonzept muss kontinuierlichen Support bieten

User Adoption bedeutet allerdings weit mehr als ein Mitarbeitergespräch mit anschließender Erstanwenderschulung: Der Aufbau der Nutzerakzeptanz ist ein andauernder Prozess, der die Mitarbeiter lange vor dem Go-live abholt.

Dreh- und Angelpunkt ist neben regelmäßiger Kommunikation und Information der systematische Kompetenzaufbau. User Adoption basiert auf einem Schulungskonzept, das kontinuierlichen Support vor, während und nach dem Go-live bietet. Das ist wichtig! Denn zur erfolgreichen Einführung einer Software reichen vorbereitende Schulungen und Workshops allein nicht aus. Der Grund: Bis die Teams tatsächlich damit arbeiten, haben sie einen großen Teil der in den Trainings erworbenen Inhalte schon wieder vergessen. Damit sie die Software im laufenden Betrieb aber selbstständig und souverän nutzen können, ist auch Unterstützung am digitalen Arbeitsplatz erforderlich – beispielsweise in Form von Digital Adoption Platforms, die dem Benutzer während der Arbeit mit der Software im „Moment of Need“ weiterhelfen, indem sie akute Wissenslücken punktgenau schließen.

Vorteile eines ERP-Systems. User Adoption ist der Schlüssel zu jedem erfolgreichen ERP-Betrieb.
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Vorteile eines ERP-Systems. User Adoption ist der Schlüssel zu jedem erfolgreichen ERP-Betrieb.

Beispiel ERP: Die Vorteile von User Adoption in der Praxis

Im Vergleich zu den technischen Aspekten einer Softwareimplementierung gilt User Adoption als eher „weiches“ Ziel. Das erklärt zwar, warum sie auf Prioritätenlisten der Unternehmen selten unter den Top Ten auftaucht und immer noch unterschätzt wird, ändert aber nichts daran, dass diese Einschätzung falsch ist. Denn so wichtig ein erfolgreicher Roll-Out auch sein mag, er ist nie mehr als ein Meilenstein auf dem Weg zum Ziel. Und das besteht eben darin, vorab definierte Ziele mithilfe einer neuen Software zu erreichen. Es geht um harte Key-Performance-Indikatoren, deren Höhe ganz entscheidend davon abhängen, wie stark oder schwach die Nutzerakzeptanz ausgeprägt ist. Am Ende ist es die „weiche“ User Adoption, die harte Fakten schafft.

Das wird schnell deutlich, wenn man sich am Beispiel „Lagermanagement“ anschaut, wie User Adoption dazu beiträgt, dass die wichtigsten Ziele, die mit der Einführung eines neuen ERP-Systems verbunden sind, tatsächlich erreicht werden:

  1. Konsistente Daten: Eine der wichtigsten Herausforderungen beim Aufbau einer zentralen Datenbasis ist die Vermeidung von falschen oder doppelten Einträgen. User Adoption vermittelt das dazu nötige abteilungsübergreifende Prozess- und Rollenverständnis. Das Resultat ist eine konsistente Datenlandschaft ohne Dubletten, die mit der Realität übereinstimmende Reports und Forecasts ermöglicht, beispielsweise, um die Effizienz beim Lagermanagement oder bei der Fakturierung und Bilanzierung zu erhöhen.
  2. Warenbestände reduzieren: User Adoption schafft die erforderliche Anwenderkompetenz für standardisierte Abläufe und Zusammenhänge. Das Ergebnis sind abteilungsübergreifend jederzeit aktuelle und verlässliche Lagerbestands- und Bestelldaten, mit denen sich der Materialfluss optimieren, Lagerbestände reduzieren sowie Lagerhaltungs- und Kapitalbindungskosten minimieren lassen.
  3. Kostenziele erreichen: Falsche Daten oder das Fehlen von Informationen führen immer wieder dazu, dass Unternehmen ihre Kostensenkungsziele verpassen. User Adoption trägt dazu bei, dass die Daten korrekt und vollständig erfasst werden. Dann entsprechen die Informationen im System der Realität, es entsteht eine Single Source of Truth, die effiziente Prozesse und richtige Entscheidungen ermöglicht. Gleichzeitig entfallen Zusatzkosten und die Verschwendung von Ressourcen, weil die nachträgliche, manuelle Korrektur von inkorrekten oder das Nachtragen fehlender Daten entfallen.

Schon dieser Use Case, der in ähnlicher Form auch für andere Lösungen wie CRM- und PLM-Anwendungen oder Kernbanksysteme gilt, zeigt: User Adoption ist kein Nice-to-have, auf das man mangels Zeit oder Budget verzichten kann. Sie ist das Zünglein an der Waage, wenn es um den Erfolg oder Misserfolg bei der Implementierung und dem Betrieb von Software geht – eine Investition, die sich im wahrsten Sinne des Wortes bezahlt macht.

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