Overlay-Technologien: Chancen und Grenzen
Wer im Wettbewerb vorne mitspielen will, muss die Digitalisierungswelle surfen, sonst läuft man Gefahr, von ihr überrollt zu werden. Viele Unternehmen haben dies inzwischen erkannt. Tatsächlich nimmt die Digitalisierung Fahrt auf, und die Zahl der neuen Technologien und Anwendungen steigt. Entsprechend groß ist das Interesse an Lösungen, die den User:innen die Bedienung neuer Anwendungen erleichtern.
Das neue Zauberwort im Netz heißt Overlay, das Herzstück vieler Digital Adoption Platforms (DAP). Unternehmen, die eine höhere Rentabilität ihrer Technologien anstreben, und Softwareanbieter, die die Benutzerakzeptanz nach oben treiben wollen, haben das Wachstum dieser Digital Adoption Platforms noch angeheizt. Aber was kann diese Technologie leisten? Worin unterscheiden sich Overlays von anderen Digital-Adoption-Technologien? Und worauf sollte ein Unternehmen bei der Auswahl einer Digital-Adoption-Lösung achten?
Walkthrough – ein verlässlicher Lotse
Im Kontext von DAPs bezeichnet Overlay eine Technologie, mit der sich Schritt-für Schritt-Anweisungen direkt über Webanwendungen legen. Indem die User:innen wie mithilfe eines Navigationsgeräts sicher von Feld zu Feld durch eine bestimmte Aufgabe, Transaktion oder Aktivität geführt werden, finden sie sich schnell zum Beispiel mit einer neuen Unternehmenssoftware zurecht. Gerade Anwender:innen, die viele Tools beherrschen müssen, empfinden diese Art der zielsicheren Navigation als Erleichterung. Overlay kann folglich die Zufriedenheit der Mitarbeitenden fördern, sie hilft, Fehler zu vermeiden, und entlastet das Budget für den Support.
Einige DAP-Anbieter haben in ihre Lösung auch Robotic-Process-Automation-Funktionen (RPA) integriert, die die Prozesse völlig automatisiert ablaufen lassen. Eine Automatisierung eignet sich beispielsweise bei Aufgaben, die festen Regeln folgen und immer nach demselben Muster ablaufen, etwa in der Buchhaltung oder bei der Mitarbeitendenverwaltung. So gesehen sind viele Aufgaben, die sich für einen Overlay-Ansatz eignen, auch erstklassige Kandidaten für eine Automatisierung. Doch sind Overlay-Technologien auch die beste Wahl, um sich mit einer neuen Software vertraut zu machen?
Bitte genau prüfen
Um dies zu beantworten, ist ein Blick hinter die Kulissen der Navigation nötig. Overlays überzeugen in Demonstrationen mit ihrer intuitiven Softwareführung, die direkt über eine Website gelegt wird. Doch um solch einen „Walkthrough“ zu erstellen, muss jeder einzelne Schritt bzw. jede Aktion in die jeweilige Sequenz einfließen. Die Herausforderung: Bei einer Änderung im Prozess muss die Sequenz nachträglich angepasst werden. Um bei dem Beispiel des Navis zu bleiben: Wie bei allen intelligenten Systemen muss auch hier ein Team von Mitarbeitenden permanent Daten nachpflegen und aktualisieren, um beispielsweise Straßensperren, Staus oder sonstige Änderungen aktuell zu halten, sonst landet der Nutzer bzw. die Nutzerin unter Umständen auch mal in einer Sackgasse – ein Wartungsaufwand, den Unternehmen einkalkulieren müssen. Daher sollten sie im Vorfeld genau prüfen, wie häufig ihre Webapplikationen geändert werden, etwa aufgrund schneller Release-Zyklen, neuer Richtlinien oder neuer Prozesse.
Die Crux mit der Wartung
Bei Applikationen, die einem regelmäßigen Wandel unterliegen haben Unternehmen zum einen die Möglichkeit, Content-Verantwortliche zu engagieren, die die Sequenzen kontinuierlich aktualisieren. So gehen Änderung und Aktualisierung Hand in Hand, und man vermeidet, dass Pop-ups mit Fehlermeldungen erscheinen. Und nicht nur das: In vielen Fällen hindert eine gestoppte Sequenz die Benutzer:innen daran, im eigentlichen System zu arbeiten – und dann wäre das Gegenteil von dem erreicht, was die Lösung eigentlich leisten sollte.
Die andere Möglichkeit ist, auf alternative Technologien zu setzen. Digital Adoption Platforms, die sich nicht wie Walkthroughs über, sondern neben die Anwendung legen und die Nutzer:innen in Form von Schrittlisten durch den Prozess führen, leisten hier gute Dienste. Auch diese Lösungen müssen aktualisiert werden, sie brechen den Vorgang aber nicht ab, sollte sich ein Prozessschritt geändert haben. Außerdem gewähren sie den Anwender:innen stets Einblick in weitere Schrittfolgen und liefern damit eventuell noch die entscheidenden Hinweise, um auch die nächsten Schritte ausführen zu können.
Vor dem Hintergrund immer kürzer werdende Release-Zyklen, des hyperschnellen Wandels der Geschäftsumgebungen und immer neuer Änderungen rechtlicher Vorgaben und sonstiger Richtlinien, sollten Unternehmen deshalb mit Bedacht wählen.
Tunnel- statt Weitblick?
Neben dem hohen Wartungsaufwand gibt es einen weiteren Aspekt, den die Unternehmen bei der Auswahl der passenden Lösung bedenken sollten: den Zuwachs an Wissen. Overlay-Technologien führen die User:innen klar von A nach B. Zwar haben die Anwender:innen dann ihre Aufgabe erfüllt, gelernt haben sie aber kaum etwas. Zudem gehen sie möglicherweise aufgrund fehlender Informationen, die zur Erfüllung der Aufgabe notwendig sind, gewisse Risiken ein.
So führen beispielsweise Navigationsgeräte Fahrer:innen zielsicher von Berlin bis in die Schweiz. Im ungünstigsten Fall landen sie dort aber mit einer Handvoll Strafzettel, da sie Geschwindigkeitsvorschriften beim Fahren mit Hänger oder Dachbox nicht beachtet haben oder die Zollbestimmungen nicht kannten. Diese Informationen liefert ihnen das Navi nämlich nicht.
Übertragen auf die Unternehmenswelt: Im Recruiting werden viele Prozesse über HCM- bzw. HXM-Lösungen abgebildet. Auch diese können von Overlay-Technologien unterstützt werden. Bei der Neubesetzung von Stellen sind beispielsweise häufig verschiedene Abteilungen involviert – und nur wenn Daten und Unterlagen korrekt über das System weitergegeben werden, läuft der Prozess reibungslos. Ein Overlay kann hier durch die nötigen Schritte führen. An seine Grenzen stößt die Technologie aber dann, wenn es um weiteres relevantes Wissen geht, – seien es Informationen zum korrekten Umgang mit den Daten oder Löschkonzepte für personenbezogene Unterlagen.
Oder, übertragen auf den Kontext von CRM-Systemen: Die Overlay-Technologie kann Anwender:innen dabei helfen, einen Lead oder eine Opportunity anzulegen. Findet aber ein Applikationswechsel statt, endet die Hilfe mit dem Wechsel der Software. Und dies geschieht nicht selten, beispielsweise wenn Daten mittels einer Outlook-Integration übertragen werden müssen oder wenn eine Excel-Datei, die aus dem CRM-System exportiert wurde, korrekt aufbereitet werden muss.
Unterm Strich verführen Walkthroughs also zum Tunnelblick, über den Tellerrand schauen die Nutzer:innen eher nicht hinaus. Eine ganzheitliche Lösung dagegen bietet die Möglichkeit, jedes relevante Wissen zur Verfügung zu stellen. Entsprechend müssen sich die Unternehmen bei der Auswahl des richtigen Tools deshalb die Frage stellen: Wie wichtig ist es, dass die Nutzer:innen zu sachkundigen Anwender:innen werden? Steht dieser Aspekt im Vordergrund, sollten die Unternehmen auf umfangreichere Digital Adoption Platforms setzen, die den User:innen während des Prozesses auch kontextbezogenes, breiteres Wissen anbieten. Geht es allein um die Durchführung bspw. einer Transaktion, eignen sich möglicherweise sogar voll automatisierte RPA-Funktionen.
Mehr Ganzheitlichkeit bitte
Aus dem Gesagten wird klar: Overlay-Tools haben ihre Stärken, aber auch ihre Grenzen. Hilfreich sind sie durchaus, wenn es um die Unterstützung von webbasierten Anwendungen geht, vor allem bei starren, linearen Prozessen, die viele Wiederholungen mit hoher Genauigkeit erfordern und sich nur selten ändern. In der Praxis wird eine DAP mit Overlay-Technologie deshalb in der Regel für eine Software in einem Projekt verwendet. In diesen Fällen ist jedoch tatsächlich zu überlegen, ob eine Automatisierung den Nutzen nicht sogar noch erhöhen würde.
Im Arbeitsalltag müssen die Mitarbeitenden aber mit vielen verschiedenen Anwendungen umgehen, seien es Web- oder Desktop-Tools. Hilfen, die stets in der jeweiligen Anwendung integriert sind, erfordern von den Nutzer:innen unterschiedlichste Zugriffswege, eine zentrale Hilfe wird damit nicht ermöglicht. Sowohl aus Sicht des Unternehmens als auch aus der der Mitarbeitenden ist dies nicht erstrebenswert, denn es führt langfristig entweder zu neuen Harmonisierungsprojekten oder zur Überlastung des IT-Helpdesks.
Abwägen ist Gold wert
Vor der Entscheidung für eine Software sollten sich Unternehmen deshalb die Frage stellen: Geht es allein um die Bedienung einer webbasierten Anwendung oder ist eine Digital Adoption Platform gewünscht, die verschiedene Hilfen in allen Anwendungen und Systeme bereitstellen kann?
Unternehmen, die in ihre Digitalisierung investieren möchten, sollten das gesamte Technologie-Ökosystem im Unternehmen berücksichtigen und sicherstellen, dass eine Digital Adoption Platform alle ihre Anwendungen abdeckt. Daher sollten sie die gesamte Bandbreite an Digital Adoption Platforms auf dem Markt unter die Lupe nehmen. Wägen Sie den Overlay- bzw. Walkthrough-Ansatz gegen umfassendere Systeme ab, die neben der Unterstützung bei der Softwarenavigation auch Geschäftsberatung und Unternehmenswissen bieten können. Die Auswahl an Lösungen ist groß, und sie wächst Tag für Tag. Die Qual der Wahl bleibt keinem erspart. Aber es ist besser, sich am Anfang zu quälen als am Ende.