SCORM: Wie man Probleme mit dem De-facto-Standard in den Griff bekommt
Es könnte so einfach sein: Man stellt der neuen Mitarbeiterin die verpflichtende Sicherheitsschulung als Web-based Training (WBT) zur Verfügung. Das ruft sie am Bildschirm auf, arbeitet sich durch den Inhalt, besteht den abschließenden Test und erhält die entsprechende Qualifikation. Die Sicherheitsschulung verschwindet aus der To-do-Liste ihres persönlichen Schulungsplans und findet sich fortan in der Lernhistorie wieder. Damit das funktioniert, muss das WBT dem Learning-Management-System (LMS) mitteilen, ob die Kollegin erfolgreich abgeschlossen hat, und genau das tut es in der Regel über SCORM. Wie gesagt: Es könnte so einfach sein – aber das ist es häufig leider nicht. SCORM sorgt nämlich immer wieder für Überraschungen.
Was ist SCORM eigentlich?
Die Abkürzung SCORM steht für „Shareable Content Object Reference Model“ (Referenzmodell für austauschbare elektronische Lerninhalte). SCORM wurde im Jahr 2000 von der Advanced-Distributed-Learning-(ADL)-Initiative vorgestellt, einem US-amerikanischen Regierungsprogramm unter Führung des Verteidigungsministeriums. Seitdem hat sich das Modell über mehrere Versionen weiterentwickelt und ist de facto zum Standard geworden. Die auch heute noch am häufigsten genutzte Version, SCORM 1.2, stammt aus dem Jahr 2001. Das darf man sich ruhig einen Moment lang auf der Zunge zergehen lassen: In unseren schnelllebigen Zeiten feiert SCORM schon bald seinen 20. Geburtstag!
Quelle: https://scorm.com/scorm-explained/business-of-scorm/scorm-versions/
Auf das LMS kommt es an
Allerdings stellte sich heraus, dass bei SCORM 1.2 noch nicht alle Eventualitäten und weiteren Entwicklungen bedacht worden waren. Also kam 2004 eine komplexere Version auf den Markt, um differenzierte Anforderungen, wie zum Beispiel die Sequenzierung von Inhalten mit verschiedenen Pfaden, zu unterstützen. Von SCORM 2004 existieren mittlerweile weitere Editionen, von denen aber auch nicht jede von jedem LMS unterstützt wird. Zum Beispiel funktioniert in der On-Premise-Variante von SAP Learning Solution (LSO) nur die dritte Edition von SCORM 2004, während das Cloud-basierte SAP-SuccessFactors-LMS die zweite sowie die vierte Edition unterstützt. Ein LMS vollumfänglich SCORM-konform zu machen bedeutet hohen Programmieraufwand und hohe Entwicklungskosten. Auch deshalb wird die jüngste Version, Experience API bzw. Tin Can API oder einfach xAPI, aus dem Jahr 2013 aktuell von den wenigsten LMS (und Content-Lieferanten) unterstützt.
SCORM-konform? Eine trügerische Sicherheit
Und so kann es vorkommen, dass Content, von dem der Anbieter behauptet, er sei SCORM-konform, sich trotzdem nicht mit Ihrem LMS verträgt. Das merken Sie entweder daran, dass Sie bereits beim Upload eine Fehlermeldung erhalten. Oder falls der Upload gelingt, funktioniert das WBT nicht, wie es sollte. Vielleicht lauert der Fehler auch erst ganz am Ende des Arbeitsprozesses, und der Kurs landet nach erfolgreicher Arbeit nicht, wie erwartet, in der Lernhistorie. Aus Erfahrung dazu zwei bewährte Tipps:
- Schätzen Sie Ihre Fähigkeiten realistisch ein: Natürlich können Sie das Problem selber untersuchen, und als versierter ITler finden Sie vielleicht auch den Fehler. Bedenken Sie aber: Sobald man in den speziellen Bereich vordringt, in dem der SCORM-Content mit dem LMS kommuniziert, kommt man mit SAP-Expertentum nicht unbedingt weiter. Hier endet das SAP-Universum, man betritt eine völlig andere Welt.
- Probieren Sie SCORM-basierte Kurse und Lerninhalte vor dem Go-Live in einem Testsystem gründlich aus. Ein Test auf Herz und Nieren ist deutlich mehr als ein bloßer Start nach dem Upload. Spielen Sie zwei bis drei Szenarien durch – im Optimalfall in verschiedenen Browsern und auf ein oder mehreren mobilen Devices.
SCORM verstehen: Konzeptionelle Fragen mitbedenken
SCORM-Trainings zum Laufen zu bringen ist die eine Herausforderung. Doch warum ist der gründliche Test so wichtig? Neben dem Problem der technischen Machbarkeit birgt die Arbeit mit SCORM auch eine konzeptionelle Frage: Was bedeutet eigentlich „erfolgreich abgeschlossen“? Unter welchen Umständen das SCO (Shareable Content Object) welchen Status generiert, ist nämlich nicht festgelegt. Tatsächlich ist nicht einmal definiert, dass das SCO das Statuselement überhaupt nutzen muss.
Für die Compliance des WBT ist es aber notwendig, dass
- der Inhalt auf eine für die Lernenden nachvollziehbare Art und Weise abgeschlossen werden kann, und dass
- der Inhalt dem LMS mitteilt, ob die Lernenden erfolgreich abgeschlossen haben.
Ein Beispiel aus der SCORM-Praxis mit drei Möglichkeiten
Bleiben wir doch einfach bei unserer eingangs erwähnten Sicherheitsschulung. Die kann in der Praxis folgendermaßen aussehen:
- Das WBT hat einen Umfang von 20 Seiten. Die Bedingung für den erfolgreichen Abschluss ist, dass 18 davon besucht und damit 90 Prozent des Inhalts gesehen wurden.
- Das WBT besteht aus 20 Testfragen. Die Bedingung für den erfolgreichen Abschluss ist, dass 18 davon korrekt beantwortet werden und damit 90 Prozent der zu erreichenden Punkte erzielt wurden.
- Das WBT hat einen Umfang von 20 Seiten und einen Abschlusstest mit 20 Testfragen. Hier könnte die Bedingung für den erfolgreichen Abschluss sein, dass der Mitarbeiter zunächst 18 der Inhaltsseiten besucht, um den Abschlusstest freizuschalten, und dann 18 der Fragen korrekt beantwortet.
Das dafür maßgebliche Dokument SCORM_1.2_RunTimeEnv der ADL-Initiative definiert:
„cmi.core.lesson_status: This is the current student status as determined by the LMS system. Six values are possible.
- passed
- completed
- failed
- incomplete
- browsed
- not attempted
Normally the SCO determines its own status and passes it to the LMS.“
(Quelle: https://scorm.com/scorm-explained/technical-scorm/run-time/run-time-reference/)
Schon bei dem Versuch, den drei Möglichkeiten den korrekten Wert zuzuordnen, merkt man, dass das alles andere als eindeutig ist. Konkret behandelt das Beispiel ein SCORM-1.2-Szenario, in den anderen Versionen können aber ähnliche Fälle auftreten. SCORM ist in keiner Version in dem Sinne ein Standard, als dass das Modell bestimmte Elemente als verpflichtend definiert und genau vorschreibt, welche Werte wann und wie verwendet werden müssen. Das höchste der Gefühle sind so etwas wie Verwendungsempfehlungen.
Es reicht also nicht aus, wenn sowohl das LMS als auch der Inhalt – beide nach bestem Wissen und Gewissen – SCORM-konform sind. Sie können dennoch aneinander vorbeireden.
SCORM-Probleme vermeiden
Wenn Sie ein SCORM-WBT in Ihrem LMS einsetzen wollen, sollten Sie zunächst intern die wesentlichen Fragen klären. Kommunizieren Sie anschließend mit Ihrem Hersteller, und verlassen Sie sich nicht darauf, dass da, wo SCORM-kompatibel draufsteht, auch echte Kompatibilität geboten wird. Sprechen Sie mit ihm über das Instructional Design: Wie können Lernende das WBT erfolgreich abschließen? Falls es das WBT in mehreren Sprachen geben soll: Wie kann das aussehen? Und, wenn gewünscht oder notwendig: Wie kann das WBT weitere auswertbare Daten liefern? Und welche?
An einem ausgiebigen Test in Ihrem LMS führt anschließend trotzdem kein Weg vorbei. Schließlich möchten Sie wissen und nicht nur vermuten, ob die (z. T. impliziten) Anforderungen umgesetzt sind!