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Talent Management muss sitzen wie ein Maßanzug

Trotz fortschreitender Digitalisierung ist und bleibt der Mensch Dreh- und Angelpunkt des Geschäftserfolgs. Umso wichtiger ist es, beim unternehmensweiten Talent Management die Bedürfnisse der Mitarbeitenden konsequent in den Fokus zu rücken. Das erfordert ein Umdenken – und zwar von Personalentwicklern und Führungskräften gleichermaßen.
06. Mai 2021
4 min
Johanna Kuch, Managing Director bei tts Talent Management Consulting GmbH Johanna Kuch

Nicht einmal jeder zehnte Beschäftigte strebt derzeit eine Führungsposition an. Stattdessen suchen insbesondere die jungen Talente nach Sinnstiftung, Mitspracherechten und Aufgaben, die ihrem Stärkenprofil entsprechen. Unternehmen sind daher gefordert, ihren Mitarbeitenden passgenaue Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten – auch abseits klassischer Karrierepfade. Die Experten in den HR-Abteilungen müssen folglich maßgeschneiderte Angebote kreieren: Ziel ist es, einmalige Experiences zu schaffen, die mit den persönlichen Zielen und individuellen Lebensentwürfen der Beschäftigten korrelieren. Und zwar für die gesamte Belegschaft: Talent Management muss alle Mitarbeiter fördern – unabhängig von Position, Betriebszugehörigkeit und Hierarchie.

Talent Management nicht nur für Führungskräfte

Genau daran mangelt es vielen Unternehmen jedoch: Laut einer Kienbaum-Studie ist das Talent Management in knapp 70 Prozent der Unternehmen ausschließlich auf Führungspositionen ausgerichtet und fördert primär den vertikalen Aufstieg. Zwei Drittel der Personalabteilungen konzentrieren sich darauf, durch Förderung der sogenannten High Potentials die Besetzung vordefinierter Schlüssel- und Führungspositionen langfristig zu sichern. Lediglich ein Drittel sieht jeden Mitarbeitenden im Unternehmen als förderwürdiges Talent. Dabei gilt es gerade angesichts des demografischen Wandels, alle Mitarbeitenden einzubeziehen und damit langfristig an das Unternehmen zu binden. Auch die Beschäftigten fordern mehr Mitspracherechte: So möchten 83 Prozent ihre berufliche Weiterentwicklung aktiv mitgestalten. Doch nur 42 Prozent der Unternehmen bieten ihnen die Möglichkeit dazu. Entsprechend unzufrieden sind die Mitarbeitenden mit den derzeitigen Angeboten der Personalentwicklung:

  • Nur ein Drittel hält die bestehenden Talent-Management-Instrumente für nützlich.
  • Zwei Drittel empfinden die Personalentwicklungsstrategie ihres Unternehmens alles andere als innovativ.
  • Lediglich zwei Fünftel glauben, dass ihre individuellen Entwicklungsbedarfe durch die existierenden Maßnahmen gedeckt werden.

Genau hier müssen die unternehmensinternen HR-Experten ansetzen: Strategische Personalarbeit ist gefordert, die individuellen Karriereziele jedes Mitarbeiters zu identifizieren und den Weg dorthin anhand maßgeschneiderter Entwicklungskonzepte zu skizzieren – in Abstimmung mit den Beschäftigten entsprechend ihren persönlichen Wünschen und Fähigkeiten und anhand objektiv erhobener, aussagekräftiger HR-Kennzahlen.

Digitale Lösungen liefern dabei wichtige Erkenntnisse. So helfen beispielsweise regelmäßige Mitarbeiterbefragungen, die Sicht auf die Belegschaft zu schärfen und individuelle Karrierewege passgenau zu planen. Zugleich automatisieren sie administrative Aufgaben und verschaffen HR-Experten so wertvolle Freiräume, um neue Talent-Management-Konzepte zu erarbeiten und die Employee Experience weiter zu verbessern. HR-Analytics bietet darüber hinaus eine transparente Zahlenbasis, die sowohl den Status quo als auch die Entwicklungspotenziale der einzelnen Leistungsträger widerspiegelt.

Kooperative Führung auf dem Vormarsch

Zukunftsorientierte HR-Systeme sind aber nur die eine Seite der Medaille. Neben der Personalabteilung müssen auch die Führungskräfte ihre Rolle neu definieren. Gerade in Zeiten von Social Distancing und Remote Work wird aus dem Vorgesetzten mehr und mehr ein Coach, der im Sinne eines kooperativen Leadership-Konzepts vor allem Denkanstöße gibt, zu mehr Eigenverantwortlichkeit motiviert und die Mitarbeitenden entsprechend ihren individuellen Stärken fördert. Nicht nur, weil Mitbestimmung bei den Mitarbeitern bessern ankommt, sondern auch, weil der Anteil erlebnisorientierter Lernformate in vielen Unternehmen steigt.

Damit „Training on the job“ und „Learning by doing“ zum Standard der beruflichen Weiterbildung werden, sollten Vorgesetzte zwei Dinge im Blick halten:

  • Sie müssen nah genug am Team sein, um die Karrierewünsche und Wissenslücken der einzelnen Kollegen richtig einschätzen zu können.
  • Auf dieser Basis und im Schulterschluss mit der Personalabteilung gilt es dann, individuelle Weiterbildungskonzepte zu entwickeln.

Doch das gelingt nur, wenn Führungskräfte über ein hohes Maß an Akzeptanz bei ihren Mitarbeitenden verfügen. Denn erst wenn die Mannschaft hinter ihrem Coach steht, wird sie dessen Empfehlungen auch folgen. Das ist in der Unternehmenswelt nicht anders als im Sport.

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