Interview

Blick in die Praxis: So meistern Unternehmen ihren HR-IT-Betrieb

Der Go-Live neuer HR-IT-Lösungen wird zu Recht als Meilenstein gefeiert – doch damit fängt die eigentliche Arbeit erst so richtig an. Wie also gelingt Unternehmen der erfolgreiche Betrieb ihrer Cloud-Lösung? Darüber sprach Stephan Haustein mit vier HR-IT-Verantwortlichen international agierender Unternehmen.
Zusammenfassung

Wie gelingt der erfolgreiche Betrieb von HR-IT-Lösungen nach dem Go-live? Klare Zuständigkeiten, strukturierter Support und kontinuierliche Verbesserung sind dabei entscheidend, wie die Erfahrungen der Interviewteilnehmenden zeigen. Regelmäßige Kommunikation, angepasste Ressourcen und ein flexibles Management von Nutzeranfragen und Release-Prozessen helfen dabei, die Lösung nachhaltig zu stabilisieren und weiterzuentwickeln. Unternehmen profitieren zudem von einem starken Partner, der Orientierung bietet, wichtige Fragen frühzeitig klärt und die Einführung neuer Prozesse unterstützt. So lassen sich Wissen gezielt aufbauen, Mitarbeitende aktiv einbinden und die Grundlage für einen langfristig erfolgreichen HR-IT-Betrieb schaffen.

27. November 2024
6 min
Profil Stephan Haustein Stephan Haustein

Speaker HRAM Roundtable

Erfahrungswerte rund um den Go-Live

Stephan: Der IT-Marktforschungsspezialist Gartner beschreibt das Cloud-HR-IT-System als lebendiges Objekt. Ramona, kannst du das bestätigen?

Ramona: Absolut. Tatsächlich sind wir sehr dynamisch zwischen Projekt- und Betriebsphase unterwegs. Vor mehr als zwei Jahren haben wir die SAP SuccessFactors-Module Learning, Succession & Development und Employee Central eingeführt, im Jahr 2023 Onbording und Recruiting. Aktuell implementieren wir das Modul Performance & Goals, und im Anschluss nehmen wir SAP SuccessFactors Payroll und Time Tracking in Angriff. 

Stephan: Benedikt, wie seid ihr bei der Implementierung vorgegangen und welche Learnings hast du mitgenommen?

Benedikt: Begonnen haben wir im März 2018 mit dem Go live von Employee Central und Learning. Die restlichen Module haben wir dann sukzessive eingeführt und an unsere Prozesse angepasst. Inzwischen unterscheidet sich das aktuelle System schon deutlich von der Startversion. 

Ein zentrales Learning aus der Zeit nach dem Go-live war, dass es Geduld braucht, bis das neue System bei der Mitarbeiterschaft ankommt. Gerade in der Anfangsphase bin ich gewissermaßen als Floor-Coach von Büro zu Büro gegangen und habe alle ermutigt, das System zu nutzen und auch Feedback zu geben. Das kam sehr gut an. Heute bin ich froh, dass wir den Mut hatten, mit einem Minimum Viable Product, also mit der ersten funktionsfähigen Versionlive zu gehen. 

Stephan: Benjamin, du kamst ja erst nach dem Rollout zu Rational. Wie hast du diese Zeit erlebt?

Benjamin: Nach der Implementierung der Module Employee Central, Learning und Performance & Goals im Jahr 2018 ging die Arbeit erst richtig los. Anfangs hat das HR-Team diese Aufgaben neben dem HR-Alltagsgeschäft on top erledigt. Mit dem weiteren Ausbau war das nicht mehr möglich, und inzwischen sind für den Betrieb der Module auf HR- und IT-Seite je zwei Mitarbeiter verantwortlich.     

Stephan: Iulia, deckt sich das, was du gehört hast, mit deinen Erfahrungen? 

Iulia: Vieles kommt mir bekannt vor. Entscheidend für Unternehmen ist tatsächlich, auf die Zeit nach dem Rollout vorbereitet zu sein und die für den Betrieb nötigen Ressourcen bereitzustellen. An dieser Stelle kommen wir mit unserer Extended Workbench ins Spiel und können jederzeit unterstützen.

Thema Support: Key User, Organisation, Betriebsformen

Stephan: Ein Punkt, der viele HR-Verantwortliche verunsichert, ist die Flut von Nutzeranfragen gerade in der Anfangszeit. Wie war das bei Euch? 

Benedikt: Darauf waren wir ganz gut vorbereitet. Für jede der sieben Gesellschaften haben wir Key User ausgebildet, an die sich die Nutzerinnen und Nutzer wenden können. Um die Key User zu entlasten, haben wir Onlinetrainings und FAQ-Listen erstellt sowie zusätzlich ein Helpdesk aufgebaut. Als hilfreich erwies sich zudem, Hilfestellung schon direkt im System zu geben. 

Ramona: Bei uns gab es sehr viele Anfragen, bei denen es um das Zusammenspiel des neuen Systems mit unseren Prozessen ging. Um das aufzufangen, haben wir unmittelbar nach dem Go-live den Support neu organisiert und beispielsweise ein Betriebshandbuch erstellt und eine Support-Mailadresse eingerichtet. Zudem haben wir für jedes Modul eigene Key User als Ansprechpartner eingesetzt. Diese stehen auch in engem Austausch mit unserem Partner tts. Inzwischen sind wir gut organisiert, und es läuft prima.

Stephan: Stichwort Organisation, welche Betriebsformen haben sich da bei euch bewährt, Benjamin?

Benjamin: Anfangs, als das Team noch klein war, haben wir uns untereinander abgestimmt. Als dann mehr Module hinzukamen, mussten wir das Ganze strukturierter angehen. Dabei hat uns das Modell der RACI-Matrix geholfen, mit der sich Zuständigkeiten und Aufgaben übersichtlich darstellen lassen. 

Der Support ist bei uns in drei Ebenen gegliedert. Der First Level Support ist bei HR angesiedelt; Second Level bei IT, und um den Third Level kümmert sich die IT gemeinsam mit Partner tts. Zusätzlich haben wir ein Ticketsystem etabliert, sodass jeder den jeweiligen Projektstatus vor Augen hat. 

Benedikt: Wir haben das Thema SuccessFactors bei HR aufgehängt. Die IT kommt ins Spiel, wenn es um Schnittstellen zu Microsoft-Programmen oder anderen SAP-Lösungen geht. Diese Eigenständigkeit hat für uns Vorteile. So kann ich die HR-Strategie besser steuern. 

Auch die Key User sind als First-Level-Support im HR-Bereich angesiedelt. Für die zweite Level-Ebene ist tts zuständig. Das gibt mir den Freiraum, auch globale HR-Projekte zu stemmen.

Benedikt Lange, Manager HR Digital Solutions

Ein zentrales Learning aus der Zeit nach dem Go-live [...]: es braucht Geduld, bis dass das neue System bei der Mitarbeiterschaft ankommt.

Benedikt Lange, Manager HR Digital Solutions

Erfolgsfaktoren und was häufig unterschätzt wird

Stephan: Iulia, wie nimmst du das aus Dienstleisterperspektive wahr? Erkennst du allgemeingültige Faktoren, die zum Erfolg führen?

Iulia: Ein allgemein gültiges Erfolgsrezept gibt es nicht. Dazu sind die jeweiligen Kundenanforderungen zu verschieden und die Komplexität ist zu groß. Jedoch gibt es Punkte, die immer wieder kehren und die zu beachten sind. Drei dieser Punkte möchte ich an der Stelle nennen. Erstens sollten Rollen und Verantwortlichkeiten klar sein. Zweitens sollten sich Kunde und Partner engmaschig abstimmen, etwa im Rahmen regelmäßiger Jours fixes. Und drittens sollten Ressourcen da sein für das Incident und Problem Management sowie für das Release Management. Vor allem Letzteres wird häufig unterschätzt.

Ramona: Auch wir hatten den Aufwand für die Releases anfangs unterschätzt, weil mit jeder neuen Version auch die Prozesse anzupassen sind und dabei die Mitarbeiterschaft mitgenommen werden muss. Deshalb ist es uns wichtig, den Nutzerinnen und Nutzern die mit der Anpassung verbundenen Vorteile zu erläutern, sodass die Akzeptanz auch da ist. 

Die Releasezeiten haben wir inzwischen im Blick und bereiten uns entsprechend darauf vor. Dazu binden wir die Key User ein und auch tts, die uns erklären, wie sich das Release auf die Prozesse auswirkt. So können wir sicher entscheiden, was wir wie in welchem Zeitraum umsetzen möchten.

Benjamin: Bei den Releases binden wir stets auch unsere beiden IT-Kollegen ein, weil jede neue Version immer auch die Stammdaten betrifft und wir sicherstellen wollen, dass auch nach dem Release alle Schnittstellen funktionieren. Daher prüfen wir neben den Pflichtreleases auch die als optional ausgewiesenen Releases gewissenhaft, denn die Erfahrung hat gezeigt, dass diese in einem der nächsten Releases verpflichtend sein könnten. 

Freedom versus Frame: Wie sich gobal agierende Unternehmen organisieren

Stephan: Interessant ist gerade für global agierende Unternehmen, wie viel Freiheiten die Landesgesellschaften bei der Ausgestaltung des Systems haben sollten. Wie geht ihr damit um? 

Benedikt: Als verantwortlicher Produktmanager entscheide ich, in welchen Fällen wir in welchem Umfang anpassen. Prinzipiell sollte die Einheitlichkeit des Systems weitestgehend gewahrt bleiben, schon allein um Zusatzaufwand, etwa wenn Trainingsmanuals anzupassen sind, zu vermeiden. Letztlich muss das Ganze auch bezahlbar sein. 

In manchen Ländern gibt es jedoch Rahmenbedingungen, die spezifische Anpassungen erfordern. Das können zum Beispiel zusätzliche Pflichtfelder bei der Abrechnung sein oder andere rechtliche Vorgaben. 

Benjamin: In welchem Umfang wir die SAP-Lösung unseren Anforderungen anpassen, entscheidet bei uns das Change Advisory Board. Fünfmal im Jahr kommen dort Kollegen aus dem Controlling, aus der IT und aus dem Personalbereich zusammen. Ob der HR-Bereich oder die IT mehr in der Verantwortung steht, richtet sich nach der Fragestellung. Und obwohl wir einzelne Punkte immer recht zügig umsetzen ist die To-Do-Liste gut gefüllt.

Ramona: Das trifft auch für uns zu. Zum Glück liegen die Verantwortlichkeiten bezüglich der Systemanpassungsfragen bei HR, sodass wir eigenständig entscheiden können. Was und wie wir das umsetzen und welche Prioritäten wir einzelnen Themen einräumen, legen wir in einer Roadmap Anfang des Jahres fest. Dinge, die rasch erledigt werden können, werden sofort angepackt. 

Ramona Schnider, Business Application Manager HR

In einer Zeit, die von Dynamik geprägt ist, auch mal den Mut haben, eine Grundstabilität anzustreben, um die Qualität der Stammdaten sicherzustellen

Ramona Schnider, Business Application Manager HR

So gelingt der Betrieb: 4 Empfehlungen zum Schluss

Stephan: Welche Empfehlungen gebt ihr Unternehmen mit auf den Weg?  

Ramona: In einer Zeit, die von Dynamik geprägt ist, auch mal den Mut haben, eine Grundstabilität anzustreben, um die Qualität der Stammdaten sicherzustellen. Ferner eine Betriebsorganisation aufzubauen, in der jeder seine klare Rolle und Aufgabe hat. Und frühzeitig ein Supportteam zu benennen, das die nötigen Maßnahmen umsetzt. Enorm wichtig finde ich, beim Support auch in den persönlichen Austausch mit den Hilfesuchenden zu gehen. 

Benedikt: Neben Supportorganisation und Trainingskonzept finde ich den Wissenstransfer wichtig, um das System rasch zu verstehen. Das muss nicht bis ins letzte Detail sein. 

Benjamin: Schon bei der Planung pragmatisch denken und unnötige Komplexität vermeiden. Beispielsweise sind wir gerade dabei, den Talent Intelligence Hub einzurichten und Skill-Datenbanken zu erstellen. Dabei achten wir darauf, die Skills von vornherein nicht unnötig auszudifferenzieren. Wenn wir uns hier auf die wichtigsten beschränken, können wir das mit unseren Ressourcen gut stemmen.  

Iulia: Unser Blick in die Praxis zeigt, dass gerade in der Findungsphase ein Partner Orientierung bieten kann, sodass Unternehmen schneller in einen ausbalancierten Betrieb kommen. Unterstreichen kann ich auch das, was Benedikt gesagt hat. Gerade am Anfang die richtigen Fragen zu stellen und so viel Wissen wie möglich aufzusaugen.

Wir danken unseren Interviewpartner für die Teilnahme:

Ramona Schnider, Business Application Manager, Pilatus Aircraft

Benjamin Kaiser, Head of People Systems & Reporting, RATIONAL AG

Benedikt Lange, Manager Human Resources Digital Solutions, FUCHS SE

Iulia Guriuc, Head of HR Application Management, tts

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